Dr. Nils S. Borchers

Drew Barrymore ruft Make-up-Enthusiasten dazu auf, beim Talk mit Milk Makeup, einer Beauty Brand aus New York, dabei zu sein. Lisa und Lena lassen sich im Stil der Simpsons zeichnen und empfehlen den Streaming-Dienst Disney+. Machen Influencer in Krisenzeiten einfach weiter wie bisher? Sind sie Opfer der Werbebudget-Kürzungen? Oder gar die kommunikative Rettung in der Unternehmensnot? „PR-Journal“-Redakteurin Annett Bergk sprach dazu mit Nils S. Borchers, Wissenschaftler am Institut für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er promovierte 2014 mit einer Arbeit zur Werbekommunikation und erforscht seitdem unter anderem die Rolle der Social Media Influencer in der strategischen Unternehmenskommunikation.

In der Werbekommunikation hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten – nicht zuletzt durch die Digitalisierung und das Aufkommen der sozialen Netzwerke – einiges getan. Vor allem die Effektivität klassischer Werbekommunikation hat darunter gelitten. „Vor diesem Hintergrund sind die Influencer Relations ein spannendes Instrument“, sagt Borchers. „Es kombiniert verschiedene Logiken von PR, Journalismus und Marketing. Zudem sind die Beziehungen zu den Followern für die Unternehmenskommunikation interessant, weil diese Beziehungen zumeist auf längeren Interaktionsgeschichten beruhen und somit einigermaßen stabil und belastbar sind.“ Ein Forschungsschwerpunkt liegt bei den Effekten von Disclosures, d. h. der Kennzeichnung von Beiträgen, die in Zusammenarbeit entstanden sind, aus Brand-, Produkt-, aber auch Verbraucherschutzperspektive. Andere Bemühungen drehen sich um die Frage, wie Unternehmen längerfristige und intensive Beziehungen zu Influencern aufbauen können.

Die wissenschaftliche Betrachtung von Influencer Relations in Zusammenhang mit Krisenkommunikation jedoch steckt noch in den Kinderschuhen: „Wir wissen, dass Fehlverhalten von Seiten der Influencer Krisen triggern kann. Logan Paul mit seinem Ausflug in den Suicide Forest ist ein Beispiel, das international durch die Presse gegangen ist“, erklärt Borchers. „Allerdings greifen diese Krisen in der Regel nicht auf kooperierende Unternehmen über – dafür müsste die Beziehung zwischen den beiden schon sehr intensiv sein.“

Welchen Mehrwert haben Influencer also, wenn das Unternehmen selbst in der Krise steckt? „Entscheidend sind die Relations, also die Beziehungen der Influencer zu ihren Followern“, sagt Borchers. „Aktuell werden Freizeit-Zeitbudgets anders verwendet. Bestimmte Themen werden wichtiger, andere weniger. Die Menschen sitzen vermehrt mit ihrem Smartphone zu Hause, liken, kommentieren, senden Private Messages und damit relevante Content-Anfragen an ihre bevorzugten Micro-Celebrities. Diese wiederum haben durch den Austausch mit ihren Followern ein klares Gefühl dafür, welche Themen jetzt funktionieren und welche nicht – zielgerichtet für ihre Community.“ Das sind starke Argumente gegenüber Unternehmen. Dazu kommen Flexibilität und schnelle Umschlagzeiten, die Medienorganisationen oder Agenturen in dieser Form nicht leisten können.

Unabhängig von allen auf der Hand liegenden Vorteilen durch die Zusammenarbeit mit Influencern mahnt Borchers zur Vorsicht: „Die aktuelle Krisensituation stellt neue Herausforderungen an die Auswahl von Influencern für Kooperationen. Insbesondere gewinnt an Wichtigkeit, wie empathisch der Influencer auf die Situation einzugehen vermag. Man sollte also etwa darauf achten, ob der Content an die Umstände angepasst wird, also ob der Community in irgendeiner Form geholfen wird, mit dieser außergewöhnlichen Situation umzugehen.“ Dazu kann der Influencer beispielsweise einen Einblick in seine aktuelle Normalität gewähren, Tipps für ihre Bewältigung anbieten oder emotional unterstützen. Die sozialprivilegierte Situation hingegen sollte nicht zu sehr in den Vordergrund gestellt werden.

„Es geht eben nicht mehr nur um Abonnentenzahlen“, sagt Borchers. „Das Unternehmen muss hinterfragen: ‚Was ist das eigentlich für ein Typ? Wie steht es um das moralische Verständnis des Influencers für die gesellschaftliche Position, vielleicht auch die Vorbildfunktion, die er einnimmt?‘ Das sind die dringlicheren Themen dieser Zeit.“


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