Klaus Weise

Interview mit Klaus Weise, Geschäftsführer von Serviceplan PR & Content

Selten erreichen Kommunikationskrisen die Dimension von Dieselgate oder des Datenskandals rund um Facebook. Unternehmen holen in so einem Fall meist Agenturen ins Boot, die ihre besten und teuersten Berater ins Rennen schicken. Die Kommunikation involviert die Vorstandsebene. Die Berichterstattung von Leitmedien prägt das Handeln; parallel ermittelt häufig die Justiz. Ist eine Reputationskrise gleich eine Unternehmenskrise? Warum kommt vieles nur schleppend raus? Müssten Kunden Krisenunternehmen nicht viel stärker abstrafen? Fragen an Klaus Weise, Geschäftsführer und Krisenkommunikationsexperte bei Serviceplan PR & Content.

PR-Journal: Herr Weise, verschiedene Unternehmen kämpfen derzeit mit einer Reputationskrise: die deutschen Automobilkonzerne, Facebook oder die von Flugausfällen betroffene Lufthansa. Die Gewinne sind trotzdem enorm; die Kunden halten den Firmen die Treue. Kann man sich Krisenkommunikation sparen?

Klaus Weise: Ihre These würde ich nicht unterschreiben. Es gibt eine Rückkopplung auf das Geschäft. Beispielsweise ist es kaum mehr möglich, einen Käufer für ein älteres Dieselfahrzeug zu finden. Facebook hat zwar phantastische Zahlen präsentiert, aber auch vor Risiken gewarnt. Der Aktienkurs sank an einem Tag um rund 20 Prozent; mehr als 100 Milliarden Dollar Börsenwert waren schlagartig weg. Das ist schon enorm. Ich glaube auch, dass sich bei Volkswagen die negativen Berichte über die Unternehmenskultur auf die Zahl und Qualität der Bewerbungen von Ingenieuren niederschlagen werden. Es könnte künftig schwierig werden, weiterhin die Besten zu finden.

PR-Journal: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Kunden und Konsumenten sich abwenden?

Weise: Grundsätzlich ist ein Vertrauensverlust ein schleichender Prozess. Das macht ihn so gefährlich. Das ist wie bei jemanden, der im 18. Stock aus dem Fenster springt und auf Höhe des neunten Stockwerks sagt, ‚ach ist doch gar nicht so schlimm‘. Gefährlich wird es, wenn ein Produkt direkt austauschbar ist. Dann kauft der Konsument einfach etwas anderes, das denselben Nutzen bietet. Beim Dieselskandal dagegen ist fast die ganze Branche betroffen. Und er betrifft auch die Verbraucher, die sich selbst einen Diesel gekauft haben und ihn nun fahren. Die Fahrer müssten eigentlich ihr eigenes Verhalten in Frage stellen.

PR-Journal: In den sozialen Netzwerken macht sich schnell Empörung breit. Doch wenn eine Kaufentscheidung naht, steht der Geldbeutel im Vordergrund. Sind Verbraucher am Ende ziemlich moralfreie Wesen?

Weise: Der Konsument schaut immer zuerst darauf, welche Vorteile er selbst hat. Das ist völlig legitim. Umfragen zeigen, dass vielen Konsumenten Bio, Nachhaltigkeit und Ökologie grundsätzlich wichtig sind. Die Bereitschaft, dafür mehr zu zahlen, ist dagegen nicht sehr ausgeprägt. Für Unternehmen sind im Übrigen nicht allein die Verbraucher entscheidend, sondern genauso professionelle Investoren, die drohen könnten, ihr Kapital abzuziehen. NGOs nutzen inzwischen diesen Mechanismus: Die Verbraucher sind der Hebel, um eine Veränderung zu bewirken. Relevanter sind Multiplikatoren und Investoren.

Imageschaden bewusst in Kauf nehmen

PR-Journal: Zurück zu den Unternehmen: Inwieweit besitzen diese eine langfristige Krisenstrategie? Einige Konzerne scheinen recht kopflos von Krise zu Krise zu stolpern und nur auf das zu reagieren, was gerade rauskommt.

Weise: Unternehmen wissen meist sehr genau, was sie tun. Ihre Kommunikation folgt einer Kosten-Nutzen-Strategie und extremem Pragmatismus. Heißt konkret: Sie nehmen im Zweifelsfall lieber eine Imagedelle in Kauf als dass sie Gerichtsprozesse und Schadensersatzzahlungen riskieren. Bei Dieselgate gilt es beispielsweise, eine Fülle rechtlicher Aspekte zu berücksichtigen: Was würde eine bestimmte Ankündigung für das Geschäft in den USA bedeuten? Welche Wirkung entsteht in der Politik?

PR-Journal: Skandale gehen oft mit Gerichtsprozessen einher. Wie einflussreich ist in einer solchen Situationen noch die Kommunikationsabteilung? Übernehmen dann nicht die hausinternen Juristen und externe Anwaltskanzleien das Ruder?

Weise: Mein Eindruck ist, dass sich das Management eines Unternehmens die Argumente der Juristen und der Kommunikationsabteilung genau anhört. Doch am Ende scheint die Neigung größer zu sein, sich der Haltung der Juristen anzuschließen. Die Angst vor einem Prozess und der Justiz ist größer als die vor einem Reputationsschaden.

PR-Journal: Früher deckte vor allem der „Spiegel“ den investigativen Journalismus ab. Bei „NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung“, „Bild am Sonntag“, „Handelsblatt“ und anderen gibt es ebenfalls starke Investigativ-Ressorts. Wie ernst nehmen Unternehmen deren Berichterstattung?

Weise: Der Qualitätsjournalismus in Deutschland funktioniert sehr gut. Investigative Medien decken eine Menge auf. Unternehmen registrieren die Berichterstattung und nehmen sie sehr ernst. Das sehen wir zum Beispiel, wenn wir für Kunden Issues Monitoring und Issues Management betreiben. Unternehmen lassen die Berichterstattung mit Hilfe von Stichwörtern auswerten. Bei einigen Firmen umfasst das Monitoring 200 bis 300 Keywords. Heißt: Der Aufwand der Unternehmen, um auf eine Krise vorbereitet zu sein und Diskussionen zu kontrollieren, ist enorm, Reputation gilt als hohes Gut, in das entsprechend investiert wird.

PR-Journal: Ist es nicht eher die Angst vor einem Shitstorm als vor einem kritischen Bericht in einem Print-Medium, die Unternehmen in den Krisenmodus versetzt und Firmen veranlasst zu reagieren?

Weise: Ja, aber vor allem, weil der ‚Shitstorm‘ zu hoch gehängt wird. Es wird viel zu schnell ‚Hilfe, wir haben einen Shitstorm!‘ geschrien. Gemeckert wurde schon immer. Ein paar kritische Stimmen und Posts sind noch lange kein Shitstorm. Dafür bedarf es negativer Stimmung über einen längeren Zeitraum, und das Thema muss sich zusätzlich über klassische Medien verbreiten.

PR-Journal: Der Ryanair-Chef poltert selbst in der Krise gegen Mitarbeiter und Gewerkschaften. Die Autobosse schienen nach dem Dieselgipfel breitbeiniger aufzutreten als zuvor. Bei Mark Zuckerberg ist es eine Mischung aus sich entschuldigen und weitermachen wie bisher. Welche Rolle sollte in einer Krisensituation der CEO einnehmen?

Weise: Es liegt nicht in der DNA von Konzernchefs, einen Kniefall zu machen. Insbesondere die Autobosse sind eher Alphatiere. Sie befinden sich zudem rechtlich in einer schwierigen Situation, weil das öffentliche Eingeständnis manipuliert zu haben, ernst zu nehmende rechtliche Folgen für das Unternehmen und eventuell auch für sie selbst haben könnte. Es gibt auch positive Beispiele: Nach dem Germanwings-Absturz hat Lufthansa-CEO Carsten Spohr intensiv kommuniziert, sich entschuldigt, um Vertrauen geworben und Fehler eingeräumt. Das brachte ihm viel Anerkennung.

PR-Journal: Keine Salami-Taktik heißt es in Lehrbüchern zur Krisenkommunikation. Inwieweit gelten die klassischen Regeln noch? Dominieren nicht eher Schweigen und Aussitzen?

Weise: Die Regeln gelten schon noch. Von der Salami-Taktik rate ich weiterhin ab. Auch sollten Unternehmen die Wahrheit sagen und nicht lügen. Der Satz ‚am Ende kommt alles raus‘ gilt mehr als je zuvor. Staatsanwälte können E-Mail- und SMS-Verläufe über Jahre rekonstruieren und Whistleblower lauern überall. Da lässt sich kaum etwas verbergen. Unternehmen müssen Verantwortung für Fehler übernehmen und sollten klar machen, dass sie gewillt sind, etwas zu verändern und zu verbessern. Krisenkommunikation ist keine Geheimwissenschaft. Es geht häufig darum, das richtige Timing zu finden.

PR-Journal: Warum holen sich Unternehmen – oder wie jüngst der DFB – eine Krisenkommunikationsagentur ins Haus? Insbesondere in Konzernen sollte doch genug interne Kompetenz vorliegen.

Weise: Der DFB beauftragt nicht umsonst mit Hering Schuppener eine der renommiertesten Agenturen für Krisenkommunikation. Am Ende kauft man sich damit ein Stück weit Sicherheit und kann sich rückversichern, auf dem richtigen Weg zu sein. Manchmal benötigt ein Unternehmen auch einfach für kurze Zeit mehr Manpower, oder es gilt, längerfristiges Krisen-Monitoring zu betreiben. Die interne Rechtsabteilung holt auch bei Bedarf Anwaltskanzleien mit besonderer Expertise an Bord; Ärzte ziehen Spezialisten zu Rate. Warum sollte das in der Kommunikation anders sein?


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