Das PR-Interview Dialog hat Priorität: Die Barcamp-Zeit ist jetzt

Immer wieder hört man – auch in der Kommunikationsbranche – von Barcamps. In Zeiten der Digitalisierung muss alles agiler und spontaner werden. Konferenzen werden zu Meetings, bei denen die Teilnehmer zur aktiven Mitgestaltung aufgefordert werden. Und die DPRG macht fleißig mit: Auch beim diesjährigen ZukunftsForum liest man im Programm häufig von „Sessionplanning“, „Session-Slot“ und „Workshop-Slot“ – von „Kaffeepause“ und „Mittag“ mal abgesehen. Zugegeben: Auch wichtig.

Aber im Ernst: Sind Barcamps nötig? Machen sie alles komplizierter (für die planenden Teilnehmer)? Oder alles einfacher (für den von Planung befreiten Veranstalter)? Das „PR-Journal“ hat sich dafür einen Experten zu Rate gezogen. Professor Kai-Uwe Hellmann vom Institut für Soziologie an der TU Berlin muss es wissen. Er ist Mit-Begründer der Feldmann & Hellmann Barcamp Organisation, die unter anderem das CommunityCamp Berlin ins Leben gerufen hat.

PR-Journal: Input und Austausch entstehen auch bei Konferenzen. Worin genau liegt der kommunikative Vorteil von Barcamps?
Kai-Uwe Hellmann: Für viele ist dieses klassische Format herkömmlicher Konferenzen schlichtweg langweilig geworden. Die Teilnehmer haben auf die Agenda keinen Einfluss. Der enge Zeitplan erlaubt höchstens in den Pausen einen Austausch über den Input – dann aber kaum mehr mit den Referenten. Bei Barcamps wird demgegenüber die Agenda ausschließlich durch die Teilnehmer bestimmt, denn es werden nur Themen diskutiert, die von ihnen selber vorgebracht werden und dann bei einer Abstimmung Zustimmung aus dem Plenum gefunden haben. Gelebte Basisdemokratie. Hinzu kommt, dass in den jeweiligen Themensessions Input nicht bloß von einer Person ausgeht, sondern von allen, die dabei sind. Austausch auf Augenhöhe nennen wir das. Dialog hat Priorität.
Der Vorteile gibt es mehrere. Zunächst ist der Identifikationsgrad der Teilnehmer gleich viel höher, wenn sie selbst von Anbeginn Einfluss nehmen können auf Referenten und Themen. ‚Agenda setting bottom up‘ sozusagen. Denn es sind ja exklusiv ihre Themen, die diskutiert werden, vorgeschlagen von Referenten, die nur aus ihrem Kreis vor Ort kommen. Während eines Barcamps wird außerdem von Anbeginn geduzt, um die Hemmschwelle abzusenken und die Zugänglichkeit zu erleichtern. Direkter Kontakt, direkter Austausch. Diskutieren stehen im Vordergrund von Barcamps. Der Grad der Vernetzung, aber auch die Qualität des Erfahrungs- und Wissensaustausches untereinander werden dadurch oftmals als erheblich höher eingeschätzt.

PR-Journal: Aber es gibt doch sicherlich auch Nachteile!?
Hellmann
: Ganz sicher sind Barcamps nicht für alles geeignet. Vieles spricht dafür, dass die konventionellen Formate auf absehbare Zeit weiterhin einen großen Bedarf bedienen. Sie versprechen Berechen- und Planbarkeit im Ablauf, sind auch viel geeigneter, die Veranstaltung gegenüber anderen zu rechtfertigen. Es gibt viel mehr Routinen und lieb gewonnene Gewohnheiten damit. Und sie sind fast beliebig skalierbar. Außerdem operieren die konventionellen Formate mit dem Mythos der Ergebnissicherung, da ja alle Referenten und Referentinnen und deren Themen schon im Vorhinein feststehen: Was man vorne reinsteckt, kommt hinten heraus, so das Versprechen. Die Risiken erscheinen somit weitgehend kalkulierbar & kontrollierbar.

PR-Journal: Von einer solchen Warte aus ziehen Barcamps gerade beim Erstkontakt schnell den Kürzeren. Denn sie starten gleich mit einem Risiko: Wer kommt überhaupt? Und sind die, die kommen, tatsächlich bereit, eine eigene Session vorzuschlagen? Wird das Sessionboard voll oder bleiben am Ende doch viele Slots unbesetzt? Wie laufen die Sessions ab, wenn es keine externen Moderatoren gibt? Wie ist die Diskussionsqualität? Endet alles im Geschwätz? Wird nicht permanent die Zeit von gut 45 Minuten überschritten? Und was ist mit der Ergebnissicherung?
Hellmann (nickt): Wer allerdings ein oder mehrere Barcamps schon mal mit gemacht hat, weiß: All dies sind völlig unberechtigte Sorgen. Denn wenn die Vorbereitung stimmt, die Einführung ins Format und die Vorstellungsrunde vernünftig orchestriert werden, dann nimmt ein Barcamp in der Regel unweigerlich Fahrt auf und wird zu einer anregenden, faszinierenden Erfahrung für die allermeisten Teilnehmer. Und was den Teilnehmern am Ende eines Barcamp-Tages am wichtigsten ist, ist oft die Tatsache, dass sie schlicht dabei waren, viele Menschen getroffen und sich mit ihnen über das sie Interessierende direkt auseinander gesetzt haben und schließlich aus diesem vollen Tag wechselseitiger Begegnungen das mitnehmen, was ihnen am wichtigsten ist.

PR-Journal: Im Rahmen des Kulturwandels nutzen auch intern immer mehr Unternehmen Barcamps zur Vermittlung von Wissen. Wie kann hier eine Ergebnissicherung stattfinden?
Hellmann: Wie angedeutet, gilt für Barcamps das geflügelte Wort: Der Weg ist das Ziel. Gleichwohl kann systematisch darauf hingewirkt werden, dass es eine Ergebnissicherung für alle stattfindenden Sessions gibt. So kann den Sessiongebern aufgegeben werden, den Verlauf ihrer Veranstaltung im Nachhinein zu beschreiben und zu bewerten, und hierfür kann auch das Material mit beigegeben werden, welches sie für ihren Impulsvortrag eingesetzt haben. Man kann zu Beginn jeder Session überdies die Teilnehmer bitten, gemeinsam ein Protokoll zu erstellen. Man kann Inhaltsangaben- und Bewertungsbögen in den Räumen hinterlassen, die im Anschluss jeder Session von allen Teilnehmern freiwillig ausgefüllt werden.

PR-Journal: Sorgt die Eventinnovation per se für Eigeninitiative, Partizipationsbereitschaft und Innovationsentwicklung?
Hellmann: Diese Frage ist mit Bezug auf Barcamps sicher nicht umfassend beantwortbar. Allerdings können Barcamps gezielt dafür eingesetzt werden, um etwa übersehene Innovationspotentiale, aber auch Unzufriedenheiten im Betrieb anders aufzugreifen und damit umzugehen, als man es gemeinhin kennt. Auch beim Zusammenlegen von Betriebsteilen oder ganzen Unternehmen könnten sie ebenenspezifisch durchaus Gutes leisten, weil es ja oft kulturelle Besonderheiten und Empfindlichkeiten sind, von denen das Gelingen solcher Prozesse abhängt.

PR-Journal: Wie kann vor diesem Hintergrund innerhalb einer Organisation ein maximaler Wissenstransfer und vor allem ein andauernder Netzwerkprozess etabliert werden?
Wissenstransfer gelingt ja oft auch nicht, weil man sich nicht genügend kennt und einander vertraut. Genau hier kommen Barcamps ins Spiel, die ja sehr auf das Menschliche ausgerichtet sind, auf wechselseitige Anerkennung, Empathie, Zugewandtheit, und dazu beitragen können, die Bereitschaft zu verstärken, mit fremden Personen, Abteilungen, Firmen besser ins Gespräch zu kommen. Vertrauen ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreichen Wissenstransfer, und Barcamps sind wiederum ziemlich gut darin, solches Vertrauen zu wecken. Und was andauernde Netzwerkprozesse betrifft, so sind die Bindungen, die bei Barcamps gestiftet werden, oft sehr persönlicher Natur, gepaart mit fachlichen Gemeinsamkeiten, verwandten Interessenlagen: Sehr gute Voraussetzungen dafür, im Anschluss stetig im Austausch zu bleiben.

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