Autoren-Beiträge Debatte: Stakeholder Journey europäisch denken!

Mit Macht schwappt CommTech als Begriff und neues Modell für Kommunikation über den Atlantik. Bei aller Sympathie und ein bisschen Bewunderung geht die Idee, alle Stakeholder optimaler Weise zu „Fans und Advocats“ zu entwickeln, über das Ziel hinaus. Die Kommerzialisierung von Relationships kann sich auf die Reputation am Ende gefährlich auswirken. Hier mein Plädoyer für eine europäische Interpretation von CommTech in strikter Ausrichtung auf die Stakeholder-Interessen.

Als die Arthur Page Society 2019 in ihrer Studie (1)  „The CCO as the pacesetter” den Begriff CommTech präsentierte, beschäftigten sich Kommunikationsverantwortliche hierzulande mit dem Aufbau von Newsrooms, der Implementierung von Social Collaboration Tools und übten sich manchmal (zu) zaghaft in Employee Advocay Programmen. Nichts davon ist falsch und dennoch nicht genug.

AG CommTech schafft Plattform für Austausch über Transformationserfahrungen

Dass Kommunikation, wie andere Unternehmensfunktionen zuvor – und wie das ganze Land, ihre digitale Transformation beschleunigen muss, hat sich durchgesetzt. Nach den Erhebungen des letzten European Communications Monitors (2021) (2) halten das 89 Prozent der Kommunikationsverantwortlichen für wichtig oder sehr wichtig. Nicht zuletzt, weil es an der Umsetzung hapert, hat sich im Sommer 2021 die Arbeitsgemeinschaft CommTech gebildet, um PR-Praktikerinnen und Praktikern eine Plattform zu geben, um sich über ihre Transformationserfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen.

Dass die Arthur Page Society von CommTech als einer neuen Profession spricht, hat aber weniger mit der Digitalisierung der Wertschöpfungskette in der Kommunikation, als vielmehr mit einem anderen Verständnis zu tun, das CommTech zugrunde liegt. In Ableitung der Customer Journey, die am Ende des Tages treue Kunden zu Fans oder Advocats machen soll, gilt das ebenso für Stakeholder der Kommunikation, die von den Leistungen der Organisation „überzeugt“ sein sollen. Wie im Funnel der Customer Journey werden optimaler Weise Individuen (nicht Zielgruppen) von Stufe zu Stufe im fortgesetzten Dialog beeinflusst und zu Anhängern mutiert.

Customer Stakeholder Journey Grafik AG CommTech

Die Grafik zeigt die Unterschiede zwischen der der Customer- und der Stakeholder-Journey. (Grafik: Thomas Mickeleit, AG CommTech, 2022)

Erst einmal ist gegen die Mechanik als solche gar nichts einzuwenden, wenngleich dem ethisch sensibel gepolten Kommunikationsmenschen ein leichter Schauer über den Rücken laufen mag. Wer bei „Beeinflussen“ kurz vor der Schnappatmung steht, wird vermutlich nur einen retardierten Zugang zur Idee von CommTech finden. Zunächst geht es nur darum, in jeder Stufe der Customer Journey mit Stakeholdern so zu kommunizieren, dass die Kommunikation für sie möglichst werthaltig und damit effektiv ist. Als Kommunikationsverantwortliche müssen wir uns fragen, wieso wir es bisher dabei haben bewenden lassen, unseren Wirkungsraum auf die Stufe „Interest“ zu beschränken. Mit der Folge, dass alle Kommunikation „one size fits all“ auf ein angenommenes Interesse der Zielgruppe ausgerichtet ist, also gerade nicht „customized“ stattfindet. Dabei wissen wir es natürlich besser. Je mehr Kommunikation an den konkreten Befindlichkeiten und Interessen der Zielgruppen ausgerichtet ist, je besser wirkt sie.

Stakeholder Journey nicht aus der Unternehmensperspektive gestalten

Wenn es nach den Erkenntnissen der Arthur Page Society geht, werden zu diesem Zwecke „Digital Engagement Systems“ gebaut, auf denen die Stakeholder Journey abgebildet wird und ein kontinuierlicher Dialog stattfindet. Was heißt das aber und wie sollten solche Plattformen beschaffen sein?

Die dringliche Empfehlung muss lauten: Frage, was ist denn das ultimative Interesse der jeweiligen Stakeholder-Gruppe im Dialog mit der Organisation? Kaum überraschend, dieses Interesse stellt sich sehr unterschiedlich dar. Ein Hochschulabgänger, der aus Unternehmensperspektive ein Talent ist, beendet diese Journey als „New Employee“, eine NGO-Vertreterin als aufgeklärte Stimme auf dem Gebiet ihrer Expertise, ein Journalist wird sinnvoller Weise gar nicht erst dem Versuch unterworfen, ihn zu vereinnahmen. Die Stakeholder Journey darf also nicht aus der Unternehmensperspektive gestaltet werden und unterscheidet sich damit fundamental von der kommerziell bestimmten Customer Journey und eben auch von dem kommerziell bestimmten Ansatz der Stakeholder Journey, wie er aus den USA zu uns kommt.

Europäische Lesart der Stakeholder Journey

Die europäische Lesart (3) der Stakeholder Journey adaptiert die Kanäle, Formate, Tonalität also an den Nutzen, den sie für die jeweiligen Stakeholder entfaltet und sie endet möglicher Weise bewusst auch nicht in jedem Fall auf der Stufe der „Confidence“. Wir dürfen nicht vergessen, das Ziel von Kommunikation ist ultimativ die Mehrung von Reputation, die Garantie der Licence to operate. Das muss für uns der Maßstab auch beim Design der Stakeholder Journey sein. Nicht mehr, nicht weniger.

Über den Autor: Thomas Mickeleit, ehemals Director of Communications Microsoft Deutschland, ist heute Kommunikationsberater für Digitale Transformation. Den oben stehenden Beitrag hat er in seiner Eigenschaft als Leiter der Arbeitsgemeinschaft CommTech geschrieben, die sich unter dem Dach des Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF), Hamburg, im Sommer 2021 gegründet hat. Die AG CommTech erarbeitet Lösungen für die digitale Kommunikation und stellt diese der interessierten Fachöffentlichkeit vor.

Fußnoten

1) The CCO as the Pacesetter, Arthur Page Society, 2019
2) Zerfass, A., Buhmann, A., Tench, R., Verčič, D., & Moreno, A. (2021). European Communication Monitor 2021. CommTech and digital infrastructure, video-conferencing,and future roles for communication professionals. Results of a survey in 46 countries. Slide 16 ff.
3) Die AG1 der Arbeitsgemeinschaft CommTech verfolgt diesen Ansatz und formuliert diesen aus der Stakeholder Perspektive entwickelten Gedanken der „europäischen Lesart der Stakeholder Journey“.

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