Was lehrt uns Corona, und wie gestalten wir die neue Normalität? Darüber haben wir im Mai 2020 mit unseren Kunden gesprochen: Kommunikationsverantwortliche aus systemrelevanten Bereichen. Die Experteninterviews zeigen Chancen auf, die auch in dieser Krise stecken, und über die viel diskutierte digitale Evolution hinausgehen. Der Shutdown war vor allem eine Disruption im Sozialen, mit ermutigenden Erfahrungen: Konstruktive Solidarität bei der Krisenbewältigung, Entschlossenheit, Pragmatismus und eine neue Wertschätzung für menschliche Fragen und systemrelevante Akteure. Auch die Reputation der neuen Experten zeigt, dass Zeit ist für eine neue Offenheit in der Kommunikation.

Krisenbewältigung in vier Phasen

Covid-19 hat Wirtschaft und Gesellschaft stärker verändert als alle Krisen vorher, Unternehmen und Organisationen wurden dabei ganz unterschiedlich getroffen. Vergleichbar sind aber die Phasen der kommunikativen Krisenbewältigung.

Phasen der Krisenbewaeltigung Schaubild Research A u B One

(Grafik: A&B One)

Im Shutdown galt es zunächst, die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen (Improvisieren), im zweiten Schritt lag der Fokus dann auf reaktiver Kommunikation: von extern gesetzten Regeln und Beschlüssen aus dem Krisenstab (Re-Agieren). Immer wichtiger wurden dann die menschlichen Fragen – vor allem nach innen – und der eigene Beitrag zur Krisenbewältigung (Fokussieren). In der neuen Normalität lässt der Krisenmodus nun nach, gleichzeitig steigen Unsicherheit und Komplexität wieder an. Die Öffnung bringt neue Polarisierungen mit sich, Unternehmen müssen sich positionieren und können sich profilieren (Transformieren).

Aktivposten in der Krise: Digitale Evolution und soziale Disruption

Was hat in der Krise geholfen? Ein eingeübtes Krisenmanagement zahlt sich aus, auch wenn es nicht für diesen globalen Krisenfall konzipiert war. Die aktuelle Krisenerfahrung muss genutzt werden, um Schwachpunkte zu identifizieren, die Bedeutung von Kommunikation zu bilanzieren und Resilienz zu entwickeln für unsere neue Normalität, die ganz sicher "VUCA" bleiben wird: volatile (volatil), uncertain (unsicher), complex (komplex) und ambiguous (mehrdeutig).

Offensichtlich und unaufhaltsam ist das Corona-bedingte Voranschreiten der digitalen Evolution. Die Arbeit verändert sich radikal, und es erstaunt, was im Home-Office und im Video-Call alles geht. Die Kommunikation profitiert besonders stark von der Digitalisierung. Viele Instrumente, die bisher oft im Entwurfs- oder Pilotstadium waren, sind auf einmal erfolgskritisch geworden. Die (neuen) digitalen Kanäle ermöglichen es, Zielgruppen in Echtzeit, direkt und persönlich zu erreichen, nach innen und außen. Der Shutdown hat die Digitalisierung beschleunigt, vor allem psychologisch. Mittlerweile werden aber auch die sozialen Defizite deutlich.

Weniger greifbar als Web-Meetings, aber umso beeindruckender ist die Disruption im Sozialen. Improvisationskunst kompensierte den Wegfall von Strukturen: pragmatisch und ergebnisorientiert, mit ungeahntem Produktivitätszuwachs und gelebter Fehlerkultur. An die Stelle der üblichen Eitelkeiten trat eine neue Durchlässigkeit zwischen Silos und Hierarchien. Konstruktiv-kritisch gestaltete sich oft auch das Verhältnis zu den Medien, die enorm viele Fragen, aber auch Verständnis für noch fehlende Antworten hatten. Wahrhaft disruptiv wirkt der Imagewandel der Alltagshelden, die vorher oft Prügelknaben oder Underdogs waren. Schon im Shutdown kam es zu einer Lockerung: von Perfektionszwängen, Absicherungskulturen und Vorbehalten. Konstruktive Solidarität überbrückte die soziale Distanz.

Der Drosten-Effekt steht für eine neue Tonalität - und schafft einen neuen Kommunikationstypus

In der Krise zeigt sich, was produktiv und systemrelevant ist. Die Kommunikation kann dieses Momentum nutzen, wenn sie Mut für eine neue Offenheit hat. Die Reputation der neuen Experten macht deutlich, dass Zeit ist für eine neue kommunikative Tonalität. Eine Tonalität, die dem Ernst der Lage gerecht wird, die hierarchieübergreifend Problemlösungen fördert und stets menschlich bleibt. Eine Kommunikation, die durch eine neue Offenheit, durch die Verbindung von Expertise und Empathie, von Dynamik und Fehlerkultur Vertrauen aufbauen und Verständnis schaffen kann für komplexe Prozesse. Auch im Umgang mit den vielen anderen Herausforderungen, die durch Corona nur noch weiter verschärft werden.

Möglicherweise entsteht in Folge der Corona-Erfahrungen ein neuer Typus in der professionellen Kommunikation: die kommunikative Spezialistin oder der kommunikative Spezialist. Er oder sie tritt neben die etablierten Akteure, also Top-Führungskräfte und Sprecherinnen und Sprecher. Die neue, konstante Rolle gewinnt mehr Gewicht als die üblichen Expertinnen und Experten durch fachliche Autorität, Vermittlungskompetenz, Verantwortlichkeit und Nahbarkeit.

The time is now

Eine weitere Aussage durchzieht unsere Kundengespräche wie ein roter Faden: „Das Zeitfenster für Veränderungen ist endlich, wie nach jeder Krise“. Die Bedeutung von Kommunikation in der Krise muss jetzt bilanziert werden, neue Erwartungen der Zielgruppen müssen identifiziert und die Chancen zur Veränderung dann auch genutzt werden.

Über den Autor: Ralf Weinen ist Diplom Psychologe und seit 25 Jahren in der qualitativen Markt- und Sozialforschung tätig. Bei der Kommunikationsagentur A&B One leitet er den Leistungsbereich Research. Arbeitsschwerpunkte sind Zielgruppen- und Trendforschung, Marken- und Produktanalysen, sowie Stakeholder- und Mitarbeiterbefragungen.

Über die Expertenbefragung: Es wurden 20 qualitative Interviews mit Kommunikationsverantwortlichen geführt, vorwiegend aus systemrelevanten Bereichen (Politik und Verwaltung, Gesundheitswesen, Bildung und Soziales, Einzelhandel, Finanzen, Verkehr und Logistik). Die meist einstündigen Gespräche fanden im Mai 2020 statt, also parallel zur Lockerung des Shutdown. Der komplette Bericht ist auf Anfrage per Mail bei A&B One erhältlich.


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