Im Nachgang zu den Krawallen von Chemnitz: Kritik an der verfehlten Informations- und Kommunikationsstrategie seitens der Behörden. (© picture alliance / ZB)

Seit mehreren Jahren versuchen politische Gruppierungen bis hin zu bekannten Parteien der rechten und der linken Szene durch rhetorische Auftritte, Demonstrationen und Gegen-Demonstrationen verdeckt oder offen ihr politisches Ideengut unter die Bevölkerung zu bringen. Vor allem Sicherheitsvorfälle werden als Agitationsforum zur Erzeugung von Unzufriedenheit, Missfallen und Illoyalität genutzt, von simplen Anwürfen wie „Fake News“ bis zum Ruf nach Vergeltung.

Soziale Medien: Stürme im Wasserglas

Internet bietet ALLES und übernimmt ALLES. Es ermöglicht quasi in Echtzeit, die gesamte Welt mit Information oder Desinformation, durch Eigeninitiative der User (z.B. Besuch von aktivistischen Webseiten) oder gegen deren Willen (Pop-Up, Spam, Hoax) zu quasi jedem Thema zu versorgen. Ein Informations-GAU lässt sich im Internet mit wenigen Hilfsmitteln und Ressourcen erzeugen. Wenn der Sturm im Wasserglas dann begonnen hat, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er die virtuelle Realität verlässt und die Aufmerksamkeit der traditionellen Medien weckt.

Vertane Chancen: Krisenkommunikation in Chemnitz

Ungenau war sie und nicht verständlich. Weder für den Laien noch den Fachmann. Was genau war in Chemnitz passiert? War die Situation gelöst? Gab es weiter Grund zur Besorgnis oder war der Vorfall geklärt? Die einzige Erkenntnis war, dass etwas passiert war. Denn jeder sprach darüber. Allen voran die Leitmedien. Somit waren optimale Voraussetzungen für einen ersten Kommunikationsgau geschaffen. Niemand war richtig informiert, aber, dafür wusste jeder etwas.

Wer ungenutzte Medienplätze oder Informationslücken bietet, gibt wem auch immer Gelegenheit, diese mit Gerüchten auszufüllen. Und genau dies ist in Chemnitz geschehen. Botschaften waren nicht präzise, Informationen ungenau. Spekulation, Vermutungen, Halbwahrheiten und Gerüchten wurden Tor und Tür geöffnet.

Sackgasse moralische Keule: Öl aufs Feuer

Die typische Antwort der Politik ist die moralische Keule. Es reicht nicht, dass einer sich aus Berlin dazu äußert, jeder tut es. Bundeskanzlerin und Bundespräsident vorne weg. Ein ganzer Vorgang wird somit noch mehr emotionalisiert, noch mehr dramatisiert, noch mehr aufgebauscht, noch mehr aufgewertet. Und dabei wollte man doch deeskalieren! Und erreicht damit genau das Gegenteil. So legt die AfD laut einer Wahlumfrage nach den Protesten in Chemnitz erneut in der Wählergunst zu. Klarer geht es nicht: Die Botschaft kommt bei Teilen der Bevölkerung einfach nicht an.

Besuche von Ministern und wohlfeile Aussagen ohne Dialog sind nicht geeignet, das Ganze wieder zu beruhigen. Dies kann nur durch Information der Bevölkerung und anschließendem Dialog geschehen. Die besten Konflikte sind immer noch die, die sich antizipieren, neutralisieren oder vermeiden lassen. Dies erreicht man am besten durch ständige Bereitschaft, die Argumentation / Begründung zur Grundlage der Auseinandersetzung zu machen.

Erfolgreiche Kommunikation

Kommunikation sorgt mittels Information, Transparenz und Bereitschaft zum Dialog für Verständigung, Verständnis und Vertrauen. Das gelingt aber nur, wenn die Informationen sachgerecht, mediengerecht und publikumsgerecht präsentiert werden. In unserer demokratischen Mediengesellschaft hat sich das Gewicht dieser Faktoren immer stärker auf die Publikums- und Mediengerechtheit verlagert. Die sachliche Angemessenheit kann nur gesichert werden, wenn die Sachverständigen und Verantwortungsträger die anderen beiden Faktoren kompetent zu handhaben wissen, also Zielgruppenkenntnisse und Medienkompetenz haben. „Kommunikation“ muss gerade in Zeiten von „Fake News“ als Oberbegriff für zwei unterschiedliche Aktivitäten verwendet werden: Es geht erstens um Information und zweitens um Verständigung.

Den Brunnen graben, bevor man Durst hat

Der Eintritt unserer Gesellschaft in das „Zeitalter der Informationen“ hat den Wirkungsgrad und vor allem die Verbreitungsgeschwindigkeit gezielter (Des-)Informationskampagnen entscheidend vervielfacht. Die Devise muss lauten: Nicht zögern, sondern handeln.

Es zählt nicht nur, „was“ gesagt wird, sondern „wie“ es gesagt wird. Es zählt nicht, wer Recht hat, sondern, wer Recht bekommt. Der Kommunikation kommt somit eine besondere Rolle in der Konfliktschlichtung und insbesondere in der Erlangung und Bewahrung der Meinungsführerschaft zu. Durch sie gilt es insbesondere subversive Elemente zu identifizieren, zu analysieren und zu neutralisieren. Denn: Was zählt, ist der erfolgreiche Kampf um die Meinungsführerschaft!

Krisen meistern

Krisen, ob selbst verschuldet oder initiiert, setzen Reputation und Wahrnehmung aufs Spiel. Gute Argumente zu haben reicht oft nicht aus. Neue Angriffsformen verlangen nach neuen unkonventionellen Methoden der Verteidigung. Gesunde Realitäten sind wichtig, sie bilden die Basis für eine positive Wahrnehmung. Noch wichtiger ist aber die Wahrnehmung selbst.

Der erste Schritt ist, sich des fundamentalen Unterschiedes zwischen Realität und Wahrnehmung bewusst zu werden. Warum? Weil in der öffentlichen Wahrnehmung die Karten oft anders gemischt sind. Denn: nicht immer zählt, was richtig oder falsch ist, sondern es zählt, was die Öffentlichkeit für richtig oder für falsch hält. Fazit: Krisenmanagement kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Krisenkommunikation „Hand in Hand“ mit ihm geht.

Agitation und Propaganda: die Gerüchteküche

Gerüchte entstehen dort, wo das gesunde Maß an Informationen verfehlt wurde. Zuviel oder zu wenig Informationen bieten eine wunderbare Angriffsfläche dafür. Das Gerücht sieht alles, hört alles, kolportiert mit bedeutungsvoller, oft intellektueller Maske, wirbelt Nebel und Staub auf.

Für den französischen Soziologen Jean Noël Kapferer ist das Gerücht die Vermittlung des Unmittelbaren. Das Medium von nebenan. Es kümmert sich um alles, was die großen Medien nicht beachten. Für Konrad Adenauer ist das Gerücht immer größer als die Wahrheit gewesen. Allerdings, was hinsichtlich der Gerüchte zählt, ist das, was die Leute glauben (wollen). Ob diese Informationen nun richtig oder falsch sind, macht keinen großen Unterschied.

Kaum ein Gerücht hat einen Selbstzweck. Hinter jeder Weiterleitung eines Gerüchtes steht jemand, dem dies bewusst oder unbewusst in irgendeiner Form hilfreich ist oder seinen Seelenzustand (Hoffnung, Hass, Misstrauen, etc.) widerspiegelt.

Wenn ein Gerücht ungehemmt weiter wächst, und oft genug wiederholt wird, ist der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge, respektive Täuschung, irgendwann nicht mehr ersichtlich. Wird eine Information oft genug wiederholt, sind Wahrheit und Lüge irgendwann nicht mehr trennbar. Die große Botschaft dieses Beispiels ist, dass erstens jedes Gerücht, das bereits Anhänger gefunden hat, weitere finden wird. Zweitens, dass es ein zu großes Risiko ist, nicht gegen Gerüchte, die als gefährlich eingestuft werden müssen, vorzugehen.

Kommunikation in der Krise

In Krisenzeiten wächst der zeitliche Druck, unmittelbare Entscheidungen sind erforderlich. Vermutungen ersetzen Informationen und statt Kontrolle herrscht Ungewissheit. Adaptierte Frühwarn-Systeme ermöglichen bei richtiger Handhabung, aufkeimende Krisen zu entdecken und ihnen entgegenzusteuern.

Krise in der Kommunikation

Krisenkommunikation ist mehr als reine „Dementis“ und „Entschuldigungen“. Es gilt, auch in der Defensive offensiv und initiativ zu sein. Die Kontrolle über die Situation muss wiedererlangt werden. Lenin, ein unbestrittener Experte für Agitation und Propaganda, heute kurz Agitprop genannt, macht in seiner Rede „Über den Charakter unserer Zeitungen“ folgende Vorgaben, damit Kommunikation erfolgreich ist: „Weniger politisches Wortgerassel. Weniger intelligenzlerische Betrachtungen. N ä h er  a n s  L e b e n“. Die Schlussfolgerungen, die man aus diesen Geschichten ziehen kann, ist erstens, dass Kommunikation schnell, wahr, wahrhaftig und vertrauensbildend sowohl im Umgang mit der zivilen Bevölkerung als auch den eigenen Behördenmitarbeitern sein muss. Zweitens muss Kommunikation der Situation vor Ort angepasst sein, nicht die Situation der der Kommunikation.

Die neue staatliche Kommunikation: Dialog

Politik und Behörden müssen wieder lernen, gut, richtig, vertrauensvoll und wahrhaftig mit der Bevölkerung kommunizieren, sonst werden andere Akteure mit gegenläufigen Interessen versuchen, diese Lücke auszufüllen. Die Minderheiten von heute können die Mehrheiten von morgen sein. Und gleichgültig, ob es die Mehrheit glaubt oder nicht: Unruhe in der Bevölkerung hilft immer nur den Anderen.

Über die Autoren

Walter Jertz isJertz Walter Buergermeister Oppenheimt ein deutscher Generalleutnant a. D. der Luftwaffe und Autor. Er war von 2002 bis 2006 Befehlshaber des Luftwaffenführungskommandos. Im Juni 1995 wurde Jertz die unmittelbare Führung über alle im ehemaligen Jugoslawien zur Friedenssicherung eingesetzten deutschen Luftwaffenkräfte übertragen. Nach sechs Monaten kehrte er nach Deutschland zurück. Von April 1996 bis September 2000 führte Jertz die 1. Luftwaffendivision mit Sitz in Karlsruhe. Von Ende April bis Mitte Juni 1999 war er militärischer Pressesprecher der NATO während der Operation Allied Force im Kosovo-Krieg. Seit dem 21. Juni 2018 ist er Stadtbürgermeister von Oppenheim.

StefaMueller Naendrup Stefan FMTn Müller-Naendrup war von 1994 bis 2000 Referent bei Ministerpräsident Bernhard Vogel in Thüringen. Danach war er Leiter Unternehmenskommunikation bei der Antec Solar GmbH und der Mitec Automotive AG in Eisenach. Seit 2010 ist er aktiv im Bereich des Business Developments u.a. für das Unternehmen Manpower. Er ist im Beirat der FMT International AG, Berlin

Buehler Bernd Oliver Gf JanusConsultingBernd Oliver Buehler studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Poitiers und absolvierte ein Aufbaustudium an der Ecole de Guerre Economique, der Schule für Wirtschaftskrieg, in Paris unter anderem mit den Themen Krisenmanagement, Krisenkommunikation und Psychologische Kriegsführung. Bühler ist geschäftsführender Gesellschafter der Janus Consulting GmbH.


Wir haben die Kommentarfunktion wegen zu vieler Spam-Kommentare abgeschaltet. Sie können uns aber trotzdem Ihre Meinung zu diesem Artikel als Leserbrief direkt zusenden. Falls Sie wünschen, dass wir Ihren Leserbrief als Kommentar dem Artikel hinzufügen, vermerken Sie dies bitte in der Mail an uns.
leserbrief@pr-journal.de


Heute NEU im PR-Journal