Autoren-Beiträge Die große Kunst, sich zu entschuldigen: Kaum einer kann‘s – wissen Sie, wie es geht?

Facebook, Uber und Wells Fargo sind auf Entschuldigungstour für die Skandale der jüngsten Vergangenheit. In den USA laufen millionenschwere Werbe-Spots. In Deutschland spendiert Facebook große Anzeigen in der Tagespresse, auch Volkswagen inserierte. Dumm nur, dass die Entschuldigungen gar keine sind. Lesen Sie hier, wie eine öffentliche Entschuldigung wirklich funktioniert.

Wer in den USA den Fernseher laufen lässt, sieht zur Zeit reihenweise Entschuldigungs-Werbespots. Facebook, Uber und die Großbank Wells Fargo bitten um Verständnis und beteuern, jetzt alles besser machen zu wollen.

Was auf den ersten Blick wie eine Entschuldigung aussieht, ist in Wahrheit gar keine. Die Konzerne strunzen mit emotionalen Bildern und Worten – aber „Entschuldigung“ sagt niemand. Die Verbraucher werden das möglicherweise gar nicht explizit merken, aber sie spüren, dass da was fehlt. Facebook & Co. riskieren damit, dass sie Abermillionen an Werbeausgaben verplempern. Dabei ist das „richtige“ Entschuldigen gar nicht so schwer. Wenn man Rückgrat und Anstand hat.

Im September 2015 gelangte der VW-Abgasskandal an die Öffentlichkeit. Intern war der Betrug an Kunden, Behörden und Umwelt schon länger bekannt. Am 6. März 2016, ein halbes Jahr später, veröffentlichte der Konzern ganzseitige Anzeigen mit einer Entschuldigung. Es war nicht die erste Anzeige. Die schaltete der Wolfsburger Konzern bereits zwei Wochen nach Bekanntwerden des Skandals. Darin warb VW vor allem einstweilen um Vertrauen. Ob es glücklich war, die Kunden im vertrauten Du anzusprechen, darf man bezweifeln: „Wir werden alles tun, um euer Vertrauen zurückzugewinnen.“ Am 12. März meldeten Zeitungen, dass die Verkaufszahlen des Konzerns, davon am stärksten der Konzernmarke VW, im Februar gesunken sind. Im Januar waren sie noch gestiegen. Dann folgte die zweite Anzeige. Sie ist die Interessantere und lautete wie folgt:

Wir wissen, dass es um mehr geht als nur die Umrüstung von Motoren.

Es gibt nichts Wichtigeres für eine Marke als Vertrauen. Vertrauen kann man nicht durch Schnelligkeit herstellen. Sondern durch Gründlichkeit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit. Durch all das, was Sie zu Recht von Volkswagen erwarten.

Wir haben gründlich gearbeitet. Und können jetzt sagen, was wir gern eher gesagt hätten:

Wir haben bereits erfolgreich mit der Umrüstung der betroffenen Dieselmotoren, Baureihe EA 189, begonnen.

In enger Absprache mit den zuständigen Behörden haben wir zuverlässige und erprobte technische Lösungen entwickelt. Die EA 189-Dieselmotoren mit 1,2 und 2,0 Litern Hubraum bekommen ein Software-Update. Bei den 1,6-Liter-Motoren wird zusätzlich ein sogenannter Strömungsgleichrichter im Luftansaugtrakt eingesetzt – dafür ist kein Eingriff in den Motor notwendig. Die reine Arbeitszeit für diese Maßnahmen beträgt deutlich weniger als eine Stunde. Die Kosten für die Umrüstung übernehmen selbstverständlich wir.

Die ersten Umrüstungen haben bereits begonnen – mit dem Resultat, dass keine Veränderung der Leistungsdaten, der Geräuschemissionen, der Steuereinstufung oder der Verbrauchswerte bei der vorgeschriebenen NEFZ-Messung festzustellen waren. Dieses Ziel verfolgen wir bei allen weiteren Umrüstungen natürlich ebenfalls.

Wir bitten um Verständnis, dass sich nicht alle Fahrzeuge zur gleichen Zeit umrüsten lassen, sondern dass wir schrittweise vorgehen müssen. Natürlich sind die Fahrzeuge auch ohne die oben genannten Maßnahmen technisch sicher und fahrbereit.

Wir wissen, dass es mit der reinen Umrüstung der Motoren nicht getan ist. Wir wollen Ihr Vertrauen zurückgewinnen. Und daran arbeiten wir rund um die Uhr. Gründlich, ehrlich, zuverlässig.

Volkswagen

Für Entschuldigungen gibt es eine kurze Checkliste:

  1. Eine Entschuldigung muss schnell erfolgen, am besten unmittelbar nach dem Fehlverhalten.
    Bei der ersten Anzeige hat VW das berücksichtigt. Notgedrungen blieben die Aussagen sehr allgemein. Bis zur nächsten Kommunikation mit den geprellten Kunden, der detaillierteren zweiten Anzeige, verging dagegen rund ein halbes Jahr. Das ist zu lang. Andere Konzerne sind allerdings noch langsamer. Die Deutsche Bahn zögerte 15 Jahre, bis sie sich für das ICE-Unglück bei Eschede entschuldigte. Das Rad eines der Schnellzüge riss ab, der ICE raste in eine Brücke, 101 Menschen kamen ums Leben. Der Pharmakonzern Grünenthal brachte selbst 50 Jahre nach der Verstümmelung von mindestens 5.000 Kindern durch das Medikament Contergan nur eine halbherzige Versöhnungsgeste zustande. Den missglückten Versuch unternahm der damalige Geschäftsführer Harald Stock im Jahr 2012 ausgerechnet bei der Einweihung eines Denkmals für die Opfer.
  2. Die Entschuldigung muss aufrichtig sein.
    Der um Entschuldigung Bittende sollte einsehen und eingestehen, was er falsch gemacht hat. Davon ist hier nichts erkennbar. Als Kunde und Behörde möchte man wissen, warum VW die Abgaswerte über Jahre manipulierte, wenn eine einfache Lösung wie in der Anzeige beschrieben binnen eines halben Jahres gefunden werden konnte. Möglicherweise verbieten juristische Kalküle diese Offenheit, weil der Konzern sonst seinen Gegnern Munition in offenen Rechtsstreiten liefern würde. Wenn das so ist, sollte man das sagen.
  3. In gravierenden Fällen sollte sich der Entschuldigende verletzlich zeigen, Schwächen offenlegen, um Vertrauen wieder herzustellen.
    Ein Beispiel aus der Tierwelt: Nach einem Streit legen manche Affenarten dem Opfer als Versöhnungsbitte den Finger in den Mund. Der vormalige Gegner könnte den Finger abbeißen, tut das aber nicht. Volkswagen hätte eingestehen können, dass man, aus welchem Motiv auch immer, den vermeintlich kürzeren oder schnelleren Weg des Betrugs wählte – und dies zutiefst bereut, auch wegen der Schäden an der Umwelt und der Gesundheitsrisiken für diejenigen, welche die Abgase einatmen. Ehrliche Demut erhöht die Chance auf Vergebung.
  4. Wer sich entschuldigt, muss die Opfer im Blick haben, nicht eigene Interessen.
    VW redet immer wieder davon, man wolle Vertrauen zurückgewinnen. Vertrauen in eine Marke manifestiert sich in Form von Kaufentscheidungen. Nein, VW! Es geht um Schadensersatz für die Kunden und eine Wiedergutmachung an der Umwelt.
  5. Der um Entschuldigung Bittende muss versprechen, sein Verhalten in der Zukunft zu ändern und das Fehlverhalten nicht zu wiederholen.
    In der Anzeige schreibt der zweitgrößte Automobilhersteller der Welt jedoch nur über die Umrüstung der Motoren, über technische Fragen und über das Zurückgewinnen des Vertrauens der Kunden.
  6. Eine Buße unterstreicht die Bußfertigkeit.
    In den USA schenkte VW jedem Käufer einen Einkaufsgutschein im Wert von 1.000 Dollar. Wenn der Konzern eine ähnliche Geste auch gegenüber der Umwelt zeigen würde, dann wäre das rein formal eine passende Buße, symmetrisch zum Fehlverhalten.

Den richtigen Ton fand in einer Entschuldigungsanzeige indes die Lufthansa (LH). Wegen eines Streiks der Kabinengewerkschaft Ufo kam es zu massiven Flugausfällen. LH war zumindest nicht alleine schuld daran, dass Reisende nicht an ihre Ziele gelangten. LH entschuldigte sich trotzdem gleich mehrmals und bekundete den Willen, bald wieder vollen Service anzubieten. Außerdem offerierte der Konzern seinen Kunden Hilfe bei der Suche nach alternativen Reiseplänen an: zum einen über die eigene Internetseite, zum anderen telefonisch über den LH-Service-Center. Die Anzeige war überschrieben mit: „Wir bitten um Ihr Verständnis!“ Am Fußende stand: „Der Vorstand der Deutschen Lufthansa AG“. Alle Vorstandsmitglieder waren mit Namen und Unterschrift aufgeführt. Bei VW steht immer nur „Volkswagen“.

Über den Autor: Jörg Forthmann ist seit 30 Jahren Kommunikator, anfangs als Journalist, später in den Pressestellen von Nestlé und Mummert Consulting, heute als Geschäftsführender Gesellschafter der Kommunikationsberatung Faktenkontor in Hamburg. Im Faktenkontor verantwortet Forthmann die Analyse und die Konzeption. Der oben stehende Beitrag wurde zunächst im Krisen-PR-Blog von Forthmann veröffentlicht.

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