Autoren-Beiträge Autorenbeitrag: Kritik im eigenen Wikipedia-Artikel – was tun?

Wuttke Peter Gf einfach machen HHWikipedia genießt als Informationsquelle großes Ansehen. Die freie Enzyklopädie gilt als neutrales „Sprungbrett zum Wissen“. Auf Einträge über Unternehmen, bekannte Marken oder Produkte greifen Journalisten, Kunden und Geschäftspartner sowie potenzielle Angestellte und Auszubildende zu – allesamt wichtige Zielgruppen der Unternehmenskommunikation. Das Interesse an der Gestaltung von Wikipedia-Artikeln durch Unternehmen und PR-Agenturen wächst stetig. Das „Mitmach-Lexikon“ stellt Neu-Autoren allerdings Hürden in den Weg. Die Beiträge von Unternehmen und PR-Agenturen werden außerdem sehr genau beobachtet. Besonders heikel ist in Wikipedia-Unternehmensartikeln der Umgang mit kritischen Passagen.
Der vorliegende Beitrag von Peter Wuttke (Foto) ist der zweite Teil einer Serie von Beiträgen über Öffentlichkeitsarbeit in Wikipedia.

Artikel in der Online-Enzyklopädie anzulegen, zu bearbeiten und auszubauen, ist selbst für Kommunikationsexperten herausfordernd. Die Software ist nicht benutzerfreundlich, das Regelwerk ist umfangreich und undurchsichtig. Skepsis prägt die Haltung der Autorengemeinschaft gegenüber Vertretern von Organisationen, Unternehmen und PR-Agenturen, denn es wird vermutet, entsprechende Akteure seien nur an „Schönfärberei“ interessiert. Zudem müssen seit Mitte 2014 Edits im Auftrag von Unternehmen und Organisationen („bezahlte Edits“) als solche kenntlich sein.

All das entmutigt auch Kommunikationsprofis. Wenn nur Teilinformationen des fraglichen Eintrags veraltet sind, beispielsweise Zahlen oder Personenangaben, mag Resignation vielleicht verständlich sein. Was aber, wenn der Artikel Kritik an Produkten oder Unternehmen im Übermaß ausbreitet, wenn er wie ein Pranger wirkt?

Neutralität und Kritik

Wikipedia-Artikel müssen ihre Gegenstände neutral darstellen. Kritik hat dagegen eine andere Funktion: Sie will etwas beurteilen und gibt dafür „gute Gründe“ an. Was ist in der Wikipedia ein „guter Grund“? Subjektive Wahrheiten gehören nicht dazu, die persönliche Meinung eines Wikipedia-Autors hat im Artikel nichts zu suchen. Zugelassen und gewünscht ist stattdessen die nüchterne Beschreibung der Wahrnehmungen eines Unternehmens oder Produkts. Unter diesen Wahrnehmungen haben die wissenschaftlichen einen zentralen Stellenwert, wichtig sind ebenfalls die der seriösen Medien.

Fehlschläge, Missstände oder Manipulationen befeuern die mediale Aufmerksamkeit. Wikipedia spiegelt diese Tatsache. Oft nimmt die Beschreibung temporärer Vergehen allerdings ein Ausmaß an, das die Proportionen sprengt – der Artikel bekommt eine regelreche Unwucht. Der Kritik-Abschnitt des Eintrags prägt das Gesamtbild, andere wichtige Aspekte bleiben unterentwickelt oder fehlen ganz.

Innerhalb der Wikipedia stören sich aber nur wenige Autoren an übergroßen Kritikabschnitten in Unternehmensartikeln. Themen der Wirtschaft sind bei Weitem nicht so attraktiv für die schnelle Bearbeitung wie solche des Sports oder der Popkultur. Wer Artikel über Unternehmen neutralisieren will, wer Proportionen wieder zurechtrücken möchte, muss sich auf das Medium Wikipedia einlassen. Er sollte sich dabei von Gerechtigkeit, Gründlichkeit und Gelassenheit leiten lassen.

Gerechtigkeit, Gründlichkeit, Gelassenheit

Gerechtigkeit heißt: Die kritisierten Tatsachen müssen erwähnt bleiben. Wer Kritikabschnitte weglöscht – technisch eine Sache von Sekunden – scheitert immer. Nützlich sind hingegen Überlegungen, wie die Kritik kompakter dargestellt werden kann. Gerechtigkeit kann auch heißen, Gegenstimmen zu Wort kommen lassen, sofern diese nachweislich öffentlich wahrnehmbar waren.

Gründlichkeit bedeutet: Auch und gerade in Kritik-Passagen müssen alle Aussagen – Kritik und Gegenargumente – sauber belegt sein. In anderen Artikelabschnitten können inhaltliche Lücken durch eine gründliche Überarbeitung gefüllt werden. Häufig sind Abschnitte über die Unternehmens- oder Markengeschichte kümmerlich oder es fehlen klare Darstellungen zur Geschäftspolitik und zum Produktportfolio.

Insgesamt ist Gelassenheit gefordert. Der Artikel gehört nicht dem Unternehmen, prinzipiell kann jeder daran mitwirken, egal ob fachkompetent oder nicht. Bei Streit über Artikelpassagen oder um das Wording bieten sich die Diskussionsseiten an – jeder Artikel hat eine eigene. Wird dort keine Übereinkunft erzielt, gibt es in der Autorengemeinschaft das Instrument der „Dritten Meinung“: Bislang unbeteiligte Wikipedia-Autoren werden um ihre Einschätzung gebeten. Ziel ist ein akzeptabler Kompromiss für alle Seiten.

Sich in die Gepflogenheiten der Wikipedia einzuarbeiten, kostet Zeit. Wer die nicht hat, kann Experten einbinden, die das Regelwerk kennen und die in der Autorengemeinschaft auf Akzeptanz stoßen. Dafür stehen spezialisierte Agenturen bereit.

Über den Autor: Peter Wuttke ist Geschäftsführer der Hamburger Agentur „einfach machen“. Die 2000 gegründete Agentur bietet Wikipedia als Bestandteil einer kompletten PR-Strategie an. Peter Wuttke betreibt in der Wikipedia regelkonform und transparent zwei Konten, eines für unentgeltliche Edits, ein zweites für bezahlte.

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