Wolfgang Griepentrog befragt Peter Szyszka zu dessen „PR-Journal“-Beitrag vom 22. Oktober

Griepentrog Wolfgang 2014Szyszka Peter Prof HochschHannoverIn seinem Beitrag „Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden“ in der vergangenen Woche im „PR-Journal“ hat Professor Peter Szyszka (Foto r.) unter anderem gefordert, Volkswagen müsse eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein könnte. Außerdem hat er diagnostiziert, für Volkswagen gehe es darum, Beziehungskapital wieder aufzubauen und zu befestigen. Das hat Diskussionen über den künftigen kommunikationspolitischen Weg von Volkswagen aufgeworfen. Nachfolgend beantwortet Szyszka die ersten beiden von fünf Fragen, die „PR-Journal“-Autor Wolfgang Griepentrog (Foto l.) an den Hannoveraner Professor gerichtet hat. Der zweite Teil der Antworten folgt in der kommenden Woche.

Wolfgang Griepentrog: Ihren Beitrag beginnen Sie mit der provokanten Frage, ob Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen könne. Doch sind die Kunden wirklich daran interessiert? Ist es nicht vielmehr so, dass wenn Kunden mit einer Dienstleistung oder einem Produkt eigentlich zufrieden sind, eine solche Krise erfahrungsgemäß (siehe ADAC) auch rasch wieder vorbei ist? Jüngste, gute Verkaufszahlen nach Bekanntwerden des Skandals scheinen das doch zu belegen.

Peter Szyszka: Ich denke, man muss das Ganze differenzierter und nicht nur aus Kundenperspektive betrachten. Zunächst einmal halte ich es für gefährlich, mit aktuellen Verkaufszahlen zu argumentieren oder sich in Sicherheit zu wiegen. Autos sind imagesensible Produkte, bei denen sich Veränderungen nicht über Nacht, sondern mittel- und langfristig vollziehen, und es gibt kein Club-Modell wie beim ADAC, wo man auf die Trägheit der Masse setzen kann. Hier geht es immer wieder um neue Kaufentscheidungen, bei denen nicht nur der Grundnutzen Moblität, sondern auch Zusatznutzen bezahlt wird und dazu hören Image und Status. An Ford und Opel kann man das als Negativgeschichten genauso nachvollziehen wie an den Erfolgsgeschichten von VW und Audi. Es geht aber nicht allein um den Prozess des Wirtschaftens, also Beschaffung, Produktion und Absatz, es geht auch um die Bedingungen des Wirtschaftens, die Volkswagen künftig in Deutschland, den USA und anderswo auf der Welt vorfinden wird. Dort wird man – wie bei jedem Vertrauensbruch – zunächst einmal genauer hinschauen, was schon von der Sache her Handlungsspielräume enger absteckt. Zwar ist der Vertrauensbruch in der Beziehungsgeschichte zu den Stakeholdern nur eine Episode, aber sie ist nun mal Teil dieser Geschichte, mit deren Folgen man sich klugerweise in allen wesentlichen Beziehungssträngen substanziell auseinandersetzen und nach den kritischen Akzeptanzfaktoren fahnden sollte. Große Teile der Konzernzukunft werden auf Stakeholderebene entschieden.

Griepentrog: Der Titel des Dramas von Volkswagen und seinem ehemaligen CEO Martin Winterkorn könnte lauten „Aufstieg und Niedergang einer Kultfigur der deutschen Wirtschaft“. Die Geschichte ist nicht neu und auch die Motive – Sie schreiben von „Ignoranz“, „Selbstüberschätzung“ – sind altbekannt. Können wir die Krise bei Volkswagen aber wirklich an einer Person bzw. einem kleinen Personenkreis festmachen oder liegt die Wurzel doch tiefer, etwa in spezifischen markenstrategischen Widersprüchen? Was hat VW wirklich falsch gemacht? Und wie können wir solche Entwicklungen verhindern?

Szyszka: Das an einzelnen Personen festzumachen, ist sicher falsch; es geht um die gewachsene Kultur im Umgang mit Entscheidungen und Problemen. Es geht um den Habitus des Unternehmens, die Art und Weise, wie Umfeld und Wirklichkeit wahrgenommen, welche Informationen wie verarbeitet, wie Entscheidungen zustande kommen und wie diese kommuniziert und exekutiert werden. Es geht um eingefahrene Routine im Umgang mit Problemen und um den Umgang mit Herausforderungen. Hier haben sich Muster herausgeprägt, deren Zukunftsfähigkeit jetzt zur Disposition steht. Es kann – zugespitzt formuliert – nicht sein, dass ein Spaltmaß wichtiger ist als die rechtzeitige Information eines Hauptanteilseigners wie dem Land Niedersachsen, zudem auch noch ein besonderes Verhältnis besteht. Da funktioniert das System nicht. Martin Winterkorn war für mich im Übrigen nie eine Kultfigur. Dazu fehlte ihm das Charisma, um über die gewachsene Unternehmenskultur hinaus echte eigene Akzente zu setzen – wobei ich mich fairerweise nur auf das stützen kann, was ich über die Jahre in den Medien verfolgt habe.

Ein anderes Problem ist im Konzern offensichtlich bereits erkannt worden: die bislang fehlende Trennung von Holding und Marke Volkswagen, die nun vorgenommen wird. Volkswagen war Marke und Konzern zugleich. Ob der Claim „Volkswagen. Das Auto“ bewusst strategisch über die Marke hinausreichen und für das gesamte Kerngeschäft „Mobilität“ suggerieren sollte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Problem ist sicher die Plattformstrategie, die ich als ein Holding-Geschäft verstehe, das von dort zu verantworten ist. Wenn, wie in den Medien dargestellt, eine Motorenlösung zu einem bestimmten Preis eingefordert wurde, wie beim EA 189, diese dann aber technisch nicht zu dem Preis, sondern nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erbracht wurde, dann stellt sich die Frage, wie kompetent der Volkswagen-Konzern tatsächlich bei der Frage moderner Mobiltätskonzepte ist. Ich denke, was wir in absehbarer Zukunft erleben werden, ist der „Bus-Unfall-Effekt“: Nach einem gravierenden Negativ-Ereignis werden viele kleinere Mängel und Probleme mit eigentlich geringem Nachrichtenwert in Medien und öffentlicher Meinung mit ‚dem‘ Fall in Beziehung gesetzt nach dem Motto: Siehst Du, so gut, wie wir immer gemeint haben, sind die eben doch nicht. Das mag nach Lebensweisheit klingen, dahinter lauert aber ein Imageproblem. Helfen kann da meines Erachtens nur, dass man sich künftig in Konzern und Marken strategisch-antizipativ mit den Folgen unternehmens- wie markenpolitischer Entscheidungen auseinandersetzt, dies in Entscheidungsprozessen und Auftritten mitdenkt und funktionale Transparenz schafft. Unternehmenskommunikation und Stakeholder-Management gehören dazu unmittelbar zusammen.

Im zweiten Teil des Interviews geht es dann nächste Woche darum, wofür die Produktmarke „Volkswagen. Das Auto“ steht, wie das Thema Mobilität wieder stärker ins Zentrum des Interesses gerückt werden kann und was die biblischen Todsünden mit dem Thema zu tun haben

Über die beiden Interviewpartner: Dr. Peter Szyszka ist Professor für Organisationskommunikation und Public Relations an der Hochschule Hannover (HsH) und Leiter der Forschungsgruppe Beziehungskapital. Dr. Wolfgang Griepentrog ist Interim Manager und Kommunikationsberater. In seinem Blog „Glaubwürdig kommunizieren“ gibt er Impulse für effizientes Kommunikationsmanagement. Regelmäßig veröffentlicht er seine pointierten Marktreflexionen im „PR-Journal“.


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