Autoren-Beiträge Volkswagen nach dem Vertrauenseinbruch: Beziehungskapital muss neu aufgebaut werden
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- von Peter Szyszka (Foto), Hannover
Wie kann Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen? Oder radikaler: Kann Volkswagen Vertrauen zurückgewinnen? Diese Fragen stellen sich nicht erst nach Bekanntwerden des GPRA-Vertrauensindex. Man mag zu derartigen Indexwerten stehen wie man will: Wenn sich ein Indexwert wie im vorliegenden Fall quasi halbiert hat, fordert dies zum Nachdenken heraus. Spannend ist die Frage, ob oder in wieweit es dabei um Kommunikation geht. Unternehmenskommunikation kann immer nur so gut sein wie das ihr übertragene Mandat und der Umgang hiermit. Ein Seismograph, der mit Weitblick auch kritische Meinungen in Markt und Gesellschaft herausfiltert, der Entscheidungen und Ereignisse auf deren Folgen in öffentlicher Kommunikation und Meinungsbildung hinterfragt, der Problemhorizonte nicht nur aufspürt, sondern auch auf deren unternehmenspolitische Bewältigung Einfluss nimmt, ist der eher bürokratische VW-Kommunikationsapparat jedenfalls offensichtlich nicht gewesen. Wenn sich Kommunikationsleistungen auf das Verkünden guter oder schlechter Nachrichten beschränken, dann wäre das „very old school“.
Dieses Problem, so es denn eines ist, ist im Kontext des sogenannten „Abgas-Skandal“ bei näherer Betrachtung genauso zweitrangig wie die Diskussion um eine autoritäre Führungskultur – von Insidern als „Geist von Piech“ bezeichnet –, die ein modernes Verständnis von Unternehmenskommunikation verhindert haben könnte. Im Unverständnis des Martin Winterkorn, der offensichtlich aus seinen Ämtern beim Volkswagen-Konzern und der Porsche SE gedrängt werden musste, spiegeln sich Überheblichkeit von Konzern und Köpfen gegenüber Markt und Gesellschaft und Unsensibilität bis Ignoranz im Umgang mit Öffentlichkeit und Meinungsbildung.
Welche Erwartungen waren an „Volkswagen. Das Auto“ geknüpft?
Eine tiefer gehende Frage lautet nämlich: Auf welchen Erwartungen basierte das Bild, das bis dahin vom Volkswagen-Konzern als Unternehmens- und Markenpersönlichkeiten in Markt und Gesellschaft bestand? Welches Persönlichkeitsprofil und welche Authentizitätsmerkmale lagen Vertrauen, Image, Reputation, Sympathie und Attraktivität zugrunde, die dem Konzern und seinen Marken entgegengebracht wurde und ihn erfolgreich machte? Volkswagen stand für mehr als „Made in Germany“, Volkswagen stand für moderne Massenmobilität. Wie anders ließe sich der bewusst gewählte Markenclaim „Volkswagen. Das Auto“ deuten? Der gleichzeitig für Audi etablierte Markenclaim „Fortschritt durch Technik“ ließ sich als Synonym für die Zukunftsorientierung des Konzerns lesen: 13 Audi-Siege bei den 24 Stunden von Le Mans in 15 Jahren plus ein Bentley-Sieg sind hier ein Pfund: Der Konzern als Wegbereiter neuer automobiler Wege.
Kernimage „alltagstaugliche Energieeffizienz"?
Aber denkt sich Mobilität in Attributen derartiger Höchstleistungen oder geht es beim Kernimage nicht eher um alltagstaugliche Energieeffizienz? Der Konzern war einmal auf diesem Weg. Jedenfalls schien es so, denn Anfang der 2000er-Jahre gab es im Konzern das 3-Liter-Auto – Verbrauch wohlgemerkt und nicht Hubraum. Im Alltag bewährt, sind die Modelle Audi A2 1.2 3L TDI und VW Lupo 3L TDI ohne Nachfolger in die Automobilgeschichte eingegangen. Am Markt erfolgreich waren beide nicht, schon weil sie das Konzern-Marketing als Stiefkinder behandelte, die nicht zur Flotte passten.
Nach dem Abgas-Skandal raus aus der automobilen Schweigespirale?
Und dann war da noch das 1-Liter-Auto, als Prototyp seit 2002 immer wieder medienwirksam in Szene gesetzt: Ein Marketing-Gag vielleicht, verbunden mit der Suggestion, dies sei Volkswagens Weg der Zukunft von Massenmobilität und Verbrennungsmotor. Tatsächlich wuchsen auch bei Volkswagen, wie überall, die Autos und mit ihnen ihre PS-Leistungen. Verbrauchwerte wurden schön geprüft, ohne dass man dafür großen öffentlichen Widerspruch erntete: eine automobile Schweigespirale? Der Abgas-Skandal könnte dies alles nun ändern.
Wer ist eigentlich Volkswagen?
Was dies alles mit Kommunikation zu tun hat? Systemtheoretisch und auch praktisch betrachtet sehr viel, denn es geht hier um mehr als nur ums Kommunizieren. Die Beziehungen zwischen Volkswagen und seinen verschiedenen Stakeholdern, von Mitarbeitern und Kunden, Markt und Marktumfeld über Kapitalgeber, Politik usw. haben gelitten. Sie bestehen aus nichts anderem als Kommunikationen, aus Sachverhalten und Ereignissen, die sich Episode für Episode aneinander reihen. In diesen Beziehungsgeschichten gerinnen Erfahrungen zu Erwartungen, an denen Volkswagen immer gemessen wurde und auch nun gemessen wird. In ihnen ist das Beziehungskapital hinterlegt, jenes Unterstützungskapital der verschiedenen Stakeholder, von denen der Volkswagen-Konzern in der Vergangenheit gut gelebt hat. Vertrauensverluste, das sind enttäuschte Erwartungen, Irritationen und mehr, ein angeschlagenes Image, rückläufige Sympathie und Wertschätzung, nachlassende Attraktivität und mehr. Unterstützungskapital steht in Meinungen, Einstellung, Haltungen und letztlich der Akzeptanz von Konzern, Unternehmenspolitik und Konzern-Produkten. Wer ist eigentlich Volkswagen? Wo der Konzern herkommt, ist bekannt, wofür er aber steht, ist infrage gestellt.
Was ist der künftige USP des Konzerns?
Damit wird ein grundsätzliches Problem deutlich: Volkswagen muss sich erklären, muss eine Antwort darauf geben, was der künftige USP des Konzerns rund um sein Zukunftsthema Massenmobilität sein soll – ein Elektro-Phaeton, wie nun angekündigt, leistet dies definitiv nicht. Deutlich wird daran auch die Rolle moderner Unternehmensberatung rund um Kommunikation: Es geht um die Auseinandersetzung mit den kommunikationspolitischen Konsequenzen unternehmenspolitischer Entscheidungen, um die Gestaltung erfolgversprechender Unternehmenspolitik und das dafür notwendige Beziehungskapital und schließlich um Kommunikationsleistungen mit deren Hilfe gezielt versucht wird, dieses Beziehungskapital im erforderlichen Maße aufzubauen und zu befestigen. Auch vor eben dieser Aufgabe steht der Volkswagen-Konzern.
Über den Autor: Dr. Peter Szyszka ist Professor für Organisationskommunikation und Public Relations an der Hochschule Hannover (HsH) und Leiter der Forschungsgruppe Beziehungskapital.
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