Schnoor Mike 2015Die Medien buhlen seit Ewigkeiten um die Aufmerksamkeit ihrer Leser. Gerade in der digitalisierten Medienwelt bedeutet dies: Die Geschichte alleine reicht nicht. Stattdessen müssen Nutzer zum Klicken, Liken und Teilen animiert werden. Wie kann Public Relations in einer Medienwelt agieren, in der Redaktionen am Zahlen- und Leistungsdruck verzweifeln?
Der Druck auf die Publisher nimmt heutzutage gewaltige Ausmaße an. Nicht nur die Aufmerksamkeit der Nutzer schwindet. Nein, in Zeiten von AdBlocker-Technologien, bei der Nutzer mit nur einem Browser-Plug-In alle Werbeanzeigen ausblenden können, müssen die Seitenbetreiber ihre Anzeigenflächen maximal auslasten. Schließlich können sie ihre kostenfreien Online-Angebote nur durch die Werbetreibenden refinanzieren. Die Medien befinden sich dabei auf ihrem Zenit inmitten einer in die Jahre gekommenen Medienlogik, in deren Dreiecksbeziehung von Werbetreibenden und Publishern die Rezipienten als williges Klickvieh eingefangen werden müssen.

Sie machen so lange weiter, bis die Nutzer vor lauter Empörung aufschreien!
Zum Glück bewegen sich Nutzer im Netz kritisch, haben ihren eigenen Kopf und verlangen nach guten und für sie relevanten Inhalten. Sie haben das Kindesalter längst verlassen und fassen im digitalen Raum als mündige Erwachsene endlich Fuß. Die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter decken ihren Informationsbedarf über algorithmische Empfehlungen aus ihrem Freundeskreis. Immer weniger von ihnen vertrauen auf das klassische Leitmedium, während Apps und Timeline als Gatekeeper funktionieren.

Für Redaktionen stellt es sich als schwierig heraus, mit guten Inhalten die Nutzer zu überzeugen. Deswegen bemühen sich immer mehr Online-Redaktionen darum, die Nutzerschaft nicht mehr mit Qualitätsjournalismus, sondern mit ganz billigen Tricks anzulocken. „Große Vorbilder“ finden sich in „Buzzfeed“, dem international bekannten Online-Portal, und im deutschen Pendant „heftig.co“. Hier werden mehr oder weniger belanglose Trendthemen im Netz für die Leserschaft als leicht verdauliche Kost aufbereitet.

100 Prozent mehr Zugriffszahlen: So verrückt schreiben Journalisten für Suchmaschinen
Die Inhalte auf solchen Portalen besitzen jedoch kaum einen relevanten Mehrwert für die Nutzer, denn sie dienen falls überhaupt ausschließlich der kurzweiligen Unterhaltung. Anstatt sich nachhaltig mit einem Thema auseinander zu setzen, wird nur oberflächlich eine Geschichte erzählt, die teils aus anderen Quellen zusammenkopiert ist. Im Regelfall zeigt der Artikel ein spektakuläres Foto oder kommentiert ein lustiges, gut gemachtes Video. Die auf „BuzzFeed“ und „heftig.co“ veröffentlichten Geschichten besitzen neben plakativen Zahlen immer ein konkretes Versprechen für den Leser, bei dem emotionale Urtriebe aktiviert und die Bedürfnisse ihrer Neugierde befriedigt werden. Das Versprechen der Clickbait*-Überschriften jedoch wird nur vorgetäuscht, so dass den Nutzern im schlimmsten Fall falsche Tatsachen vorgegaukelt werden.

Damit die Zugriffszahlen von manchen etablierten Nachrichtenmedien in ähnliche Höhen schnellen, bedienen sich Redaktionen ganz bewusst an diesem Clickbaiting-Prinzip. Jedes Onlinemedium versucht dabei auf ganz individuelle Weise, die Klicks auf Beiträgen zu erhöhen. Neben der Headline spielt auch der eigentliche Inhalt eine gewichtige Rolle. Das Team von „Focus Online“ konnte unter anderem durch Google-optimierten Texte ihre IVW-/AGOF**-Visits von Juli 2013 bis Juni 2015 mehr als verdoppelt.

Das haben die Nutzer noch nie gesehen: Unglaubliche Inhalte als Lockmittel
Natürlich kritisieren Journalisten und PR-Leute die nicht vorhandene Qualität dieser Clickbaiting-Inhalte, andere hingegen erkennen darin eine perfekte Form der Kommunikation, weil die Überschriften und belanglosen Inhalte genau die Erwartungen und Bedürfnisse der Nutzer treffen. Anstatt dabei auf journalistische Standards und objektive Berichterstattung zu setzen, werden diese Texte nicht für die Leser, sondern vornehmlich für Suchmaschinen geschrieben und um eine Vielzahl von beschreibenden, aber überflüssigen Adjektiven ergänzt. Neben einigen Suchbegriffen setzen die Redaktionen zudem auf bestimmte Signalwörter, die nur darauf ausgelegt sind, die Aufmerksamkeit der Nutzer zu wecken.

Dabei bilden die Redaktionen gesellschaftlich kritische, von bestimmten Zielgruppen als strittig erachtete, emotional herausfordernde und äußerst polarisierende Inhalte ab. Die bunte Mischung beinhaltet übrigens nicht aktuelle Themen, sondern viele alte Geschichten finden in neu überarbeiteter, für Clickbaiting und Suchmaschinen optimierter Form ihren Weg zum Leser. Was vor drei Jahren passierte, kann als reißerische Überschrift heute immer noch ein Publikum anlocken. Im Endergebnis fließen nahezu unglaubliche Inhalte in die Redaktionssysteme, auf die viele Nutzer eigentlich verzichten können.

Alle Medien folgten diesem Prinzip, bis plötzlich das passierte
Die Online-Medien und ihre Nutzerschaft stehen vor einem kleinen Scherbenhaufen. Mit jedem Artikel, der Clickbaiting-Aktionen instrumentalisiert, spielen Redaktionen mit dem Vertrauen ihrer Leser und gleichermaßen mit dem Vertrauen der Werbekunden in diese Medien als Präsenzfläche. Zwar stellt sich diese Kluft noch nicht als groß dar, aber in Zukunft kann die Medienbranche durch ein Zerwürfnis zwischen Werbetreibenden und Publishern auf die Probe gestellt werden.

In diesem Moment kann die Pressearbeit punkten. Erwartungsgemäß möchten PR-Leute ihre Kommunikation über die Medien verbreiten und in den Köpfen der Nutzer eine aufmerksamkeitsstarke Präsenz erzeugen. Dabei konkurrieren die durchaus legitimen Inhalte der PR mit einer schier belanglosen Informationsflut. Die PR-Schaffenden stehen sodann an der Weggabelung und sollten sich entscheiden, ob sie den Medien ihre Unterstützung anbieten, die Inhalte auf „Buzzfeed“-Niveau offerieren oder etwas ganz eigenes versuchen. Während der eine Weg sich eher in Richtung von attraktiven Inhalten und einer Content-Strategie orientiert, der andere nur dazu dient, um die „Buzzfeed“-Ambitionen der Online-Redaktionen zu beflügeln, folgt der dritte Weg der Selbstinszenierung in Form der Neuschaffung von Medien und Medieninhalten.

Das kommt überraschend: Wer sah das Licht am Ende des Tunnels?
Corporate Media kann ein Zauberwort für eine ganze Branche sein, mit dessen Hilfe die PR ihre Marken, Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen kommunikativ auf Vordermann bringen kann. Ganzheitliche, integrierte Kommunikation, Branded Infotainment und Content Marketing – diese Strategien und Instrumente gilt es sinnvoll zu nutzen, um gegen das Verblassen der Medien entgegen zu wirken. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines jeden Unternehmens kann gemeinsam mit der Marketingkommunikation die Digitalisierung der Medien mitgestalten und den Nutzer als Kunden begleiten.

Die PR kann mit eigenen, intelligenten Inhalten glänzen, solange sie nicht ihre Corporate-Media-Angebote zu einer Clickbaiting-Artikelsammlung aufbauen. Ob PR mittels Corporate Media die schreckliche Entwicklung der Online-Medien noch aufhalten kann – das wird die Zeit zeigen. Fest steht, dass Public Relations damit einen guten Gegenpol zur steigenden Informationsflut aufbauen kann. Die Leser folgen bekanntlich den guten Vorreitern, aus denen früher echte Leitmedien entstanden.

Über den Autor: Mike Schnoor ist Senior Partner von Guts & Glory, der Manufaktur für die Digitalisierung von Marken, Unternehmen und Institutionen. Seine Schwerpunkte als Unternehmensberater liegen in der Digitalen Transformation, Kommunikation, Digital Strategy, Marketing, Public Relations und Social Media. Als Herausgeber von DigiBuzz - Das Magazin für das Digital Business analysiert er aktuelle Trends, neue Ideen und Geschäftsmodelle der digitalen Wirtschaft. Folgen Sie @MikeSchnoor bei Twitter und lesen Sie sein Blog.

* Clickbaiting?
Die Inhalte eines Online-Mediums werden mit Überschriften versehen, die ausschließlich die Aufmerksamkeit der Nutzer erregen sollen. Die Überschriften sollen die Nutzer ködern (engl.: to bait) und sie zum Klicken auf Nachrichten, Top-10-Listen, Videos oder Bilderstrecken sowie zum Weiterleiten und Teilen der Inhalte über soziale Netzwerke animieren. Die eigentlichen Inhalte haben meist kaum eine aktuelle oder gesellschaftlich-politisch relevante Bedeutung und bilden nur einen geringen Mehrwert für die Nutzer.

** IVW- und AGOF-Zahlen?
Die Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (AGOF) ist ein Zusammenschluss der führenden Online-Vermarkter in Deutschland. Anhand einer standardisierten Online-Reichweitenmessung möchte die AGOF die Online-Nachrichtenportale als transparenten und planbaren Werbeträger darstellen. Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) kontrolliert Online-Angebote und stellt anhand der Daten zur Nutzung von Werbeträgern die Währung im Online-Werbegeschäft fest. Die IVW kontrolliert dabei die technischen Angebotsstrukturen und prüft die technische Umsetzung der Messung. Außerdem fungiert die IVW für die AGOF als Qualitätsgenerator.


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