Medien 60 Jahre Deutscher Presserat: „Der Vorwurf der Lügenpresse ist ein perfider PR-Trick“

Presserat 60 Jahre 2016Der Verschwörungstheoretiker und der Wutbürger gehen beim Beschimpfen der „Lügenpresse“ eine unschöne Symbiose ein. Der Verschwörungstheoretiker unterstellt ohne Beweise, dass die Medien in ihrer Gesamtheit mit den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft unter einer Decke steckten, unliebsame Wahrheiten aufgrund von Political Correctness und Anweisung von „oben“ unterdrückten, bevorzugt mit amerikanischen Geheimdiensten kooperierten und sowieso nur Lügen verbreiten würden. Der Wutbürger wiederum geht auf die Straße, schreit lautstark gegen das vermeintliche Medienkartell an, bedroht Journalisten, beleidigt sie und hetzt vehement und ohne Einhaltung strafrechtlicher und moralischer Normen gegen Medien in sozialen Netzwerken und Kommentarspalten. Aggressivität und Hass sind ein Merkmal des Wutbürgers geworden.
Die Diskussion um die „Lügenpresse“ prägte auch den Festakt zum 60. Geburtstag des Deutschen Presserates. Hauptredner war Bundespräsident Joachim Gauck.

Foto: Manfred Protze (l.), Sprecher des Presserats, begrüßt Bundespräsident Joachim Gauck und dessen Lebensgefährtin Daniela Schadt. Rechts im Bild die Vorsitzende des Trägervereins des Presserats, Cornelia Haß. (©: Thilo Schmülgen/Presserat)

Rund 250 Vertreter aus Medien, Politik, Wissenschaft, Kirche und Wirtschaft folgten der Einladung zum Jubiläum des Deutschen Presserates am 1. Dezember in Berlin.

Presserat und Bundespräsident verbindet die Macht des Wortes. Der Presserat als Freiwilliges Organ der Selbstkontrolle besitzt die Oberaufsicht über die Einhaltung des Pressekodexes und kann bei Verstößen Beschwerden und öffentliche Rügen gegenüber Medien verteilen, aber keine weitergehenden Sanktionen ausrufen. Er wird deshalb gerne als zahnloser Tiger bezeichnet, sieht seine Aufgabe aber selbst darin, Redaktionen immer wieder zur Selbstreflexion bei extrem gewaltverherrlichender Bebilderung, Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Angehörigen der Opfer einer Katastrophe oder unsauberen Recherchemethoden zu veranlassen.

Gauck Joachim Bundespraesident PortraitBundespräsident Gauck legte in seiner Festrede den Fokus auf die Vertrauenskrise, der die Medien, aber auch Politik, Gewerkschaften und andere Institutionen ausgesetzt seien: „Zum Lebensgefühl vieler gehört offenbar die angebliche Gewissheit, dass auf nichts und niemanden mehr Verlass sei.“ Es gebe eine starke und lauter werdende Minderheit, die Misstrauen gegen Medien hegt. Allerdings steckten die Medien in einem Dilemma. Als Überbringer schlechter Nachrichten könnten sie die Vertrauenskrise nicht alleine lösen. Sie würden zudem unter wirtschaftlichen Zwängen leiden – nicht zuletzt aufgrund des Drucks aus den sozialen Netzwerken. „Tageszeitungen werden den Wettlauf um die Verbreitung der Nachricht nicht gewinnen können. Die alles entscheidende Frage bleibt, wie sich journalistische Qualität, ökonomischer Erfolg und publizistisches Ideal zu einem harmonischen Ganzen fügen lassen“, sagte Gauck (Foto, © Bundesregierung/Steffen Kugler)

Journalisten sollten mit Kritik souverän umgehen

Presserats-Sprecher Manfred Protze knüpfte in seiner Rede an das Thema an: „Der Vorwurf der ‚Lügenpresse‘ hat mit begründeter, auf Tatsachen gestützter Kritik an journalistisch-redaktionellen Produkten nichts zu tun. Hierbei handelt es sich um einen perfiden PR-Trick, um Deutungshoheit und Aufmerksamkeit zu gewinnen.“ Protze stärkte besonders den Redaktionen den Rücken: „Medienhäuser und Journalisten sollten sich begründeter Kritik jederzeit souverän stellen. Dem Druck einer auf bloße pauschale Behauptungen und auf Unterwerfung gerichteten Propaganda müssen sie standhalten.“

Immer wieder in der Kritik steht die Medienberichterstattung über Amokläufe, Katastrophen wie den Germanwings-Absturz, Krisen und Terroranschläge. Ein hochkarätig besetzte Diskussionsrunde moderiert von der Journalistin Dunja Hayali und mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dem Leiter des Rechercheverbunds von „NDR“, „WDR“ und „Süddeutscher Zeitung“ sowie ehemaligen „Spiegel“-Chefredakteur Georg Mascolo, der deutsch-französischen Journalistin Cécile Calla, dem Kommunikationswissenschaftler Otfried Jarren und dem stellvertretende Sprecher des Presserats Volker Stennei führten eine lebhafte und selbstkritische Diskussion über die Rolle der Medien.

Während Calla betonte, dass in Frankreich das Misstrauen bereits seit fünf bis sechs Jahren gegenüber den Medien sehr groß sei und ihnen nicht zuletzt aufgrund ihrer gemeinsamen Ausbildung mit Politikern und Wirtschaftsführern an Elitehochschulen zu viel Nähe zueinander attestiert werde, zeigten de Maizière und Mascolo ein gutes Gespür dafür, was konkret in den Medien schiefläuft, viele verärgert und Ablehnung verursacht.

Abkehr vom Geschwindigkeits- und Spekulationswahn

De Maizière, der anlässlich der Absage des Länderspiels in Hannover mit seiner Äußerung „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“ selbst einen Kommunikationsgau verursacht hat, wollte sich bewusst auch als Bürger, Zeitungsleser und Fernsehzuschauer verstanden wissen. Er präsentierte einen Wunschzettel, der unter anderem Folgendes enthielt: Die Medien sollten aufhören, sich ständig an Spekulationen – besonders bei Terrorwarnungen und -einsätzen“ – zu beteiligen. Eine Live-Berichterstattungen bei „Lagen“, wenn gerade ein „schwarzes Auto“ durchs Bild fahre und dieses das größte Highlight der Berichterstattung sei, weil sonst nichts passiere, bringe niemandem was. Auch sollten Opfer und Angehörige in ihrer Würde respektiert werden und Medien „endlich aufhören, ständig diese Terrorexperten einzuladen, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben.“ Applaus vom Publikum!

Georg Mascolo sieht in der aktuellen Vertrauenskrise auch eine Chance, besser und vor allem ehrlicher zu werden. Der Pressekodex mache Journalisten klare Vorgaben, nur halte sich nicht jeder daran. „Wir sind in der Vermischung von Kommentierung und Nachricht zu weit gegangen. Das muss stärker getrennt werden“, forderte er mit Blick auf die Unmengen an polemischen Kolumnen in Online- und Print-Medien. „Wir müssen aus dieser unsinnigen Beschleunigungsspirale raus, dass alles sofort kommentiert, eingeordnet und analysiert werden muss. Das kann niemand leisten.“ Auch verlangt er Haltung: „Eine Lüge bleibt eine Lüge und als Journalisten müssen wir das so benennen.“ Die Erde werde nicht zur Scheibe. Es sei dringend notwendig, dass Journalisten sich dazu bekennen, wenn sie denn mal falsch gelegen hätten. „Ich selbst habe das in meinen 30 Jahren als Journalist nie gemacht. Und wenn ich mich so umschaue, dann machen es andere Kollegen auch nicht.“

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