DSGV LogoFAZ SchriftzugDie Bedrohung fing ganz klein an: Im sogenannten Bayern-Ei-Skandal ließ die „Süddeutsche Zeitung“ ihre Leser ausschwärmen, um herauszufinden, in welchen Supermärkten Eier des dubiosen „Hühnerbarons Stefan Pohlmann“ verkauft werden. Die ertappten Lebensmittelmärkte fanden sich auf einer Bayern-Landkarte wieder – als Warnung an alle Verbraucher. Die Eierfahndung der „Süddeutschen“ hat vielleicht noch Schmunzeln ausgelöst. Nun aber sollten Krisenkommunikatoren aufmerksam werden, denn das Unterstützen von Investigativrecherchen durch Leser professionalisiert sich. Die angesehene „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ lässt derzeit Kennzahlen aus Geschäftsberichten von Sparkassen durch Internetnutzer – neudeutsch: die „Crowd“ – erfassen. Der Aufruf zu dieser Aktion lässt nichts Gutes erahnen: „In Köln verdient der Chef der Kreissparkasse viermal so viel wie die Bundeskanzlerin“. Unterstützung erhält die „FAZ“ durch Correct!v, dem „ersten gemeinnützigen Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum“.

„Wir sind eine von vielen Antworten auf die Medienkrise“, propagiert Correct!v. „Die alten Geschäftsmodelle funktionieren immer weniger. Gleichzeitig müssen Journalisten eine immer komplexere Welt immer besser erklären. Verlage stellen Zeitungen ein oder kürzen Etats. Das Digitalgeschäft kann das bisher nicht ausgleichen. Die Medien haben Probleme, ihrer Wächterfunktion nachzukommen. Hier setzt Correct!v an und will investigativen, aufklärenden Journalismus für jeden Verlag, für jeden Sender in Deutschland erschwinglich und zugänglich machen. (…) Correct!v finanziert sich vor allem durch Spenden von Bürgern und Zuwendungen von Stiftungen.“ Spätestens jetzt sollte Pressesprechern dämmern, dass es viel Sinn macht, sich mit dieser neuen Bewegung auseinander zu setzen. Investigativjournalismus hieß bislang für Verleger, in teure Journalisten investieren zu müssen. Das wird jetzt anders.

Deutscher Sparkassen- und Giroverband wehrt sich
Christian Achilles, Chef-Kommunikator des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), geht in die Offensive. „Gegenstand der Kooperation von Correct!v und der ‚FAZ‘ ist der gemeinsame Wunsch, mit Hilfe von Leser-Reportern das Geschäftsmodell von Sparkassen kritisch zu durchleuchten. Bürger sollen ihre Erlebnisse und Geschäftszahlen von Sparkassen auf einer Rechercheseite von Correct!v hochladen. Ausgangspunkt sind tendenziöse und nicht begründete Thesen, u.a. dass angeblich ‚Kommunen für Verluste der Sparkassen geradestehen (müssen)‘, die Sparkassen ‚schlechte Geschäfte (machen)‘, ein ‚ineffizientes System (haben)‘ oder ‚auf fremdes Kapital setzen‘. Insbesondere beim letzten Punkt stellt sich schon die Frage, ob die Initiatoren das Geschäftsmodell von Kreditinstituten im Allgemeinen und die Struktur der Sparkassen im Besonderen überhaupt verstanden haben“, schreibt Achilles in einem Gastbeitrag im Krisen-PR-Blog Mediengau.

Der DSGV hält dieses Vorgehen nicht für einen seriösen Journalismus und nennt drei Argumente:

  1. Ausschließlich Sparkassen wurden für diese „neue Form des Journalismus“ ausgesucht. Das Objekt der auf viele Monate angelegten Recherche stand also fest, bevor irgendwelche Fakten vorlagen. Die verantwortlichen Redakteure der „FAZ“ geben dabei offen zu, dass sie gegenüber öffentlich-rechtlichen Sparkassen ordnungspolitische Bedenken haben.
  2. Es werden nicht journalistisch ausgebildete Bürger für schwierige Wirtschafts- und Zahlenrecherchen eingesetzt. Es stellt sich die Frage, wo der Mehrwert einer „FAZ“ liegt, wenn sie dies nicht mehr selbst leisten kann.
  3. Vor einer jeden Recherche steht die negative Grundthese. Die mit der Recherche betrauten Bürger gehen damit nicht mehr unvoreingenommen an die Aufgabe heran.

„Dieses Vorgehen enthält Elemente, die wir sonst nur von Kampagnen, nicht aber von seriösem Journalismus kennen. Schon jetzt sind die negativen Ergebnisse in der gehäuften, fehlerhaften Berichterstattung der ‚FAZ‘ über Sparkassen sichtbar“, moniert Achilles.

„FAZ“ verweist auf gängige Praxis in angelsächsischen Ländern
Das lässt Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur für den Bereich Digitale Medien bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, nicht gelten: „Die Mitarbeit von Lesern bei Recherchen mag in Deutschland neu sein, wird aber in der angelsächsischen Welt schon länger mit großem Gewinn praktiziert. Selbst die renommierte Pulitzer Stiftung, die den Pulitzer-Preis vergibt, hat schon 2011 ihre Richtlinien so geändert, dass sie die Mitarbeit von Lesern bei bestimmten Recherchen für sinnvoll ansieht. Was tun wir denn eigentlich? Wir bitten Leser, beim Sammeln von Zahlen zu helfen. Daraus entsteht eine ansehnliche und öffentliche Datenbank der Transparenz, die es so für Sparkassen noch nicht gibt. Die Auswertung dieses Bestands nehmen wir vor, sie steht aber selbstverständlich auch jedem anderen Medium offen. Was für ein Problem hat nun Herr Achilles mit der Mitarbeit von Lesern? Hält er die Leser der ‚FAZ‘, unter denen sich auch viele Kunden und Mitarbeiter der Sparkassen befinden, für zu dumm, um bei einer Datenrecherche zu helfen? Entscheidend ist doch, dass alle Daten überprüft werden und wir unsere Auswertung nicht auf einen ungeprüften oder flüchtig zusammengestellten Datenbestand stützen werden. Vielleicht sollte Herr Achilles einfach mal abwarten, was am Ende bei der Auswertung herauskommt, anstatt schon die Recherche zu attackieren. Wir nehmen erstmal zur Kenntnis, dass schon die Datensammlung den Sparkassen nicht genehm ist.“

Der neue Rechercheansatz wirft Fragen auf: Welche Aufgaben können Nicht-Fachleute tatsächlich übernehmen? Das Ablesen einer Codierung auf Eiern im Supermarkt ist trivial. Gilt das auch für das Herauslesen von Kennzahlen aus Geschäftsberichten? Müller von Blumencron sieht darin kein Problem; er wird sich an der tatsächlichen Fehlerquote in seiner Datenbank messen lassen müssen.

Wer sich mit Bilanzen auskennt, weiß allerdings auch, dass es die „Bilanzgestaltung“ gibt. Im Rahmen rechtlicher Möglichkeiten werden Kennzahlen in den Bilanzen gestaltet. Manch ein Sparkassen-Chef möchte möglicherweise den Gewinn nicht zu hoch ausweisen, um sich für schwere Zeiten zu rüsten und seinen Eigentümern, den ewig klammen Kreisen, eine eher überschaubare Ausschüttung zukommen zu lassen. Andere sehen sich möglicherweise unter öffentlichen Druck, dass die Sparkasse nicht profitabel genug ist, und legen Wert auf einen hohen Gewinn. Wie bildet die „FAZ“ diese Hintergründe ab?

Laienrecherche als neue Herausforderung
Achilles hat sich unterdessen bereits Gedanken gemacht, was die Crowd-Recherche für Unternehmen und Institutionen bedeutet: „Die Laienrecherche ist eine neue Herausforderung. Hintergründe, die bei ausgebildeten Wirtschaftsjournalisten vorausgesetzt werden können, müssen durch die Kommunikatoren in den Instituten künftig umfangreich erläutert werden.“ Die Redaktion recherchiert nicht mehr zentral, sondern mit einer Vielzahl an Akteuren. „Obendrein gibt das „FAZ“-Label der Social-Media-Kampagne eine ganz andere Wucht. Das ist neu!“ Und: „Greifen künftig auch andere Medien auf Correct!v zu? Zieht die Aktion also Trittbrettfahrer nach sich?“

„Schwarm-Empörung“ als neues Phänomen
Correct!v ist darauf angewiesen, dass sich viele Menschen bereit erklären, bei einer Kampagne mitzuhelfen, und nutzt das neue Phänomen der „Schwarm-Empörung“. Während es früher organisierte Strukturen für Widerstandsbewegungen in der Öffentlichkeit gab, bilden sich heute im Internet diffuse Schwärme von Empörten, die sich spontan einer Kampagne anschließen und mitwirken. Das geht vom Sofa aus, ist zumeist angenehm anonym – und führt zu Massenbewegungen, die durch Pressesprecher nicht mehr fassbar sind. Denn: Es gibt nicht mehr eine oder wenige Organisationen, die adressiert werden können. Sondern viele Einzelne. Irgendwo. Dieses Phänomen ist zum Beispiel bei den Stuttgart21-Protesten sichtbar geworden. Noch mehr bei der Hamburger Olympia-Bewerbung, wo die organisierten Gegner im Vergleich zu den Befürwortern dramatisch schlechter aufgestellt waren. Unbeachtet hatte sich im Hintergrund jedoch ein Ablehner-Schwarm in der Breite der Hamburger Bevölkerung etabliert, was letztlich zur Ablehnung der Olympia-Bewerbung geführt hat. Diese „Schwärme“ adressiert Correct!v mit einfachen Empörungsformeln, wie „In Köln verdient der Chef der Kreissparkasse viermal so viel wie die Bundeskanzlerin“ und bietet als leichtes Ventil für die stimulierte Empörung das unkomplizierte Mitmachen beim Widerstand an.

Für Krisenkommunikatoren lohnt es sich, sich mit Plattformen wie Correct!v und mit dem Phänomen der „Schwarm-Empörung“ auseinander zu setzen. Wir werden diese neue Qualität der Krise jetzt öfter sehen.

Über den Autor: Jörg Forthmann ist geschäftsführender Gesellschafter der Faktenkontor GmbH. Er begann seine Laufbahn mit einer fundierten journalistischen Ausbildung und wechselte danach in die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Nestlé Deutschland AG. 2003 gründete er gemeinsam mit Roland Heintze Mummert Communications, das heutige Faktenkontor.


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