Video-Content-Fans: Dirk Feldhaus, (Bundesverteidigungsministerium), David Haas (Brandboost) und Franziska von Lewinski (fischerAppelt) (v.l.) ©MCB / Ulf Büschleb CC BY-ND 2.0

Hätte die Bundeswehr zum jetzigen Zeitpunkt ihre YouTube-Serie „Die Rekruten – Deine Grundausbildung als Webserie“ gelauncht, obwohl die Truppe wegen des Falls Franco A. im Verdacht steht, rechtsextreme Tendenzen in ihren Reihen zu dulden? Eine hypothetische Frage, doch vermutlich dürfte man davon ausgehen, dass das Bundesministerium für Verteidigung die Welle der Kritik und Empörung abgewartet hätte, bevor man mit der Ausstrahlung in die Werbe- und PR-Offensive gegangen wäre. „Die Rekruten“ ist ein Beispiel für hochwertig produzierten Online-Video-Content in Serienform – ein Thema auf der re:publica 2017 in Berlin.

„Coca-Cola statt RTL, Edeka statt ProSieben: Marken produzieren Shows und Formate im Social Web“ lautete der Titel einer Podiumsdiskussion mit Dirk Feldhaus, Beauftragter für die Kommunikation der Arbeitgebermarke Bundeswehr im Bundesverteidigungsministerium, David Haas, Online-Stratege bei der Berliner Video- und Kreativagentur Brandboost, und Franziska von Lewinski, Vorstand Digitales und Innovationen bei fischerAppelt. Nina Rieke, Chief Strategy Officer bei der DDB Group, gab eine Einführung ins Thema.

Wenig überraschend waren sich alle vier Experten einig, dass selbst produzierte Show- und Serien-Formate im Internet enorme Chancen bieten und aufgrund der rasant steigenden Mobil-Nutzung von Video-Content über Handy und Tablet für Marken und Institutionen längst eine Alternative zu den klassischen 30-sekündigen TV-Spots darstellen. Um die jüngere Zielgruppe im Alter zwischen 14-35 Jahren zu erreichen, komme man an derartigen Formaten nicht vorbei, so der Tenor. Jede Marke wolle sich schließlich digital präsentieren.

Was aber zeichnet von Marken produzierte Show- und Serien-Formate im Internet aus? Wovon hängt ihr Erfolg ab? „Alles konkurriert mit allem und jedem um Aufmerksamkeit des Publikums“, sagte Rieke in ihrer Keynote. „Die Inhalte müssen zum Kern der Marke passen.“ Weiteres Kriterium: Der Video-Content solle brandaktuell sein und im richtigen Kontext erscheinen. Bedeutet im Umkehrschluss, dass es auch den falschen Zeitpunkt für eine Verbreitung gibt – aufgrund der Produktions- und Distributionskosten von hochwertigem Video-Content ein Risiko.

Kontext und Zeitpunkt müssen passen

BW Rekruten KeyvisualFeldhaus verbucht „Die Rekruten“ als großartigen Erfolg und ließ sich auch von Aktivisten auf der Bühne mit „Soldaten-sind-Mörder“-Plakaten nicht aus der Ruhe bringen. Mit Kritik müsse die Bundeswehr sowieso immer leben und „dass die Bundeswehr mit der Serie Thema auf dem Schulhof wurde, war für uns neu.“

Aufgrund des großen Interesses an der Serie kündigte er eine Fortsetzung noch im Mai dieses Jahres an – mutig angesichts des kommunikativen Umfelds. Feldhaus: „Die Leute wollen wissen, was aus den Rekruten nach der Grundausbildung geworden ist.“ Danach sei aber Schluss. Für die Agentur Castenow brachte die Online-Serie mehrere prestigeträchtige Auszeichnungen mit sich. Neben dem „PR Report“ Award 2016 gab es vor kurzem noch zwei Deutsche Digital Awards. Interessantes Detail am Rande: Eigentlich habe das Bundesverteidigungsministerium im Pitch eine klassische Kampagne gewollt, so Feldhaus. Castenow sei mit der Serien-Idee einmarschiert und erhielt den Zuschlag. Rund 1,7 Millionen Euro soll die Produktion von „Die Rekruten“ gekostet haben; weitere 6,2 Millionen flossen in Werbe- und PR-Maßnahmen.

Bei derartigen Budgets gilt es natürlich sicherzustellen, das richtige Zeitfenster zu erwischen, dass der aufwändig produzierte Video-Content die breite Masse findet und in den sozialen Netzwerken zum erhofften vielgeteilten Viral-Hit wird. Abgasskandal? Finanzkrise? Der beste Content hätte Automobilhersteller und Banken zu deren Höhepunkt wohl kaum vor Shitstorm und Medienschelte retten können und wäre verpufft. Stattdessen: Krisenkommunikation.

„Fußball geht immer“

Haas und von Lewinski präsentierten Cases, bei denen der Gesamtkontext mit Fußball-Großereignissen einem Automobilhersteller und einer Bank zugutekamen. Vielleicht ist es aber auch manchmal ganz einfach: „Fußball geht immer“, meinten beide übereinstimmend. Haas stellte ein Agenturprojekt für die ING Bank vor, die in den Niederlanden ein wichtiger Fußballsponsor ist. Brandboost setzte für das Unternehmen einen eigenen YouTube-Kanal für Videos mit sehr weitgefasstem Fußballbezug auf. Das Resultat: „ING ist in den Niederlanden jetzt als DER Fußballsponsor bekannt“, so Haas. ING werde insbesondere von einer jüngeren Zielgruppe deutlich positiver aufgenommen.

Extreme Alpine Soccer Visual 1Auch von Lewinski hatte einen Agentur-Film im Gepäck. „Extreme Alpine Soccer“ heißt das Werk, das einen neuen Mercedes-Benz Sprinter bekannt machen sollte. Im Video kicken österreichische Hobby-Fußballer auf einer Alm in den Alpen. Der Sprinter ist in dem Spot nur kurz zu sehen. Ein „Powered by“ und die URL am Ende des Films verraten den Absender der Marke. „Wir müssen hier absolut transparent sein“, betonte von Lewinski. User müssten eindeutig erkennen können, von welchem Unternehmen der Content stamme. Den Versuch, irgendetwas unterzujubeln, würde die Netz-Community abstrafen.

Sie sieht Video-Content in Form von Shows und Serien als ein geeignetes Format für alle Marken – durchaus auch für ernstere Themen; Haas hält Videos eher für eine Form der Unterhaltung. Erfolgsformate wie „Coke TV“ von Coca-Cola, „Electronic Beats“ der Deutschen Telekom oder die von der Getränkemarke Ballantine’s unterstützten DJ-Shows aus der Reihe Boiler Room setzen tatsächlich eher auf den Spaß-Effekt.

Was hat das alles mit Jan Böhmermann zu tun? Eigentlich nichts. Nina Rieke nannte den nicht anwesenden TV-Moderator allerdings als das beste Beispiel, wie man kanalübergreifend mit Videos wie zur Echo-Verleihung, zu den „Hurensöhnen Mannheims“ oder einem Gedicht medial omnipräsent sein und trotzdem derart authentisch rüberkommen könne, dass die Zielgruppe neuen Content regelrecht entgegenfiebere. Ob Böhmermanns Inszenierungen wirklich Kommunikationsstrategien wie bei den Weltkonzernen Mercedes-Benz oder Deutsche Telekom folgen, sei mal dahingestellt.

Fotocredit: ©MCB / Ulf Büschleb CC BY-ND 2.0 (Titelfoto)


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