Branche „Druckbetankung“ in Sachen Krisen-PR: 200 Teilnehmer beim Krisenkommunikationsgipfel

Krisengipfel 2017 VollesHaus LeipzigKrise zieht immer. Das zeigte sich beim jüngsten Krisenkommunikationsgipfel in Leipzig. Mehr als 200 Anmeldungen registrierte Veranstalter Frank Roselieb, Geschäftsführender Direktor des Krisennavigators, dem Kieler Institut für Krisenforschung, für die Veranstaltung am 15. März im traditionsreichen Veranstaltungszentrum Salles des Pologne in Leipzig. Kooperationspartner war die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig. Die Teilnehmer erhielten eine „Druckbetankung“ in Sachen Krise. Neun Referenten schilderten im Halbstundentakt ihre Krisenfälle, Lösungsstrategien und Erkenntnisse. Hinzu kam eine Podiumsdiskussion mit sechs Teilnehmern unter der Leitung von Dubravko Radic, Professor an der Universität Leipzig. Bei aller Fülle an Information, ein wenig fehlte der rote Faden durch den Kongresstag. Heimlicher Star aller Zuhörer war Petra Reetz, Pressesprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).
Foto: Beim Krisenkommunikationsgipfel gab es keinen freien Platz mehr. (© Krisennavigator, Kiel)

Petra Reetz hatte die Lacher auf ihrer Seite. Äußerst unterhaltsam und in der ihr eigenen Art als Berlinerin berichtete sie von der „Weil wir dich lieben“-Kampagne der BVG. Frank und frei bekannte sie sich zu Fehlern und Zweifeln, die die Social Media-Kampagne nach einem Shitstorm beinahe gestoppt hätten. Sie schilderte, wie es nach massiver Kritik an der Kampagne doch noch gelungen sei, sie in eine Erfolgsgeschichte umzuwandeln. Als entscheidende Punkte nannte sie den selbstbewussten Umgang mit der Kritik, die schnelle Reaktion und den Berlin-typischen Humor. Unnachahmlich dabei ihr lakonischer Vortragsstil. Doch das war es nicht alleine, was ihr so viel Zuspruch und Applaus brachte. Am Ende führte sie die harten Fakten des Erfolgs auf: Die Kampagne habe letztendlich nicht mehr gekostet als sonstige Werbemaßnahmen. Sie habe erheblich dazu beigetragen, dass deutlich weniger Schäden aufgrund von Vandalismus aufgetreten seien. Sie bezifferte die dadurch eingesparten Kosten auf rund vier Millionen Euro. Zudem seien deutlich weniger Mitarbeiter angegriffen worden. Und für Reetz das Entscheidende: Die BVG habe in der Hauptstadt ein neues Standing bekommen.

Kommunikationsstrategien gegen die Krisenangst

Der Krisenkommunikationsgipfel stand unter dem Motto „Kommunikationsstrategien gegen die Krisenangst – Wie Unternehmen, Behörden, Verbände und die Politik kritische Situationen erfolgreich bewältigen können“. Da war Raum für die unterschiedlichsten Beiträge. So waren die Übergänge von einem zum anderen Thema teilweise recht hart.

Gleich zu Beginn schilderten zwei Behördensprecher, wie es ihnen gelungen ist mit ihren Krisen umzugehen. Andrea Brinkmann, Pressesprecherin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg, berichtete konkret wie sie kurz nach dem Höhepunkt des Flüchtlingszustroms im September 2015 kritischen Medienberichten begegnete. In einem Fall hatte ein Undercover-Mitarbeiter exklusiv für die „Bild“-Zeitung über die Arbeitsweise der Behörde berichtet. In einem anderen Fall kritisierten Print- und TV-Medien, dass Passfälschungen der Antragsteller bei der Prüfung nicht erkannt worden seien. Brinkmann: „Wir haben jeweils die Ruhe bewahrt, die Leitung des Hauses eingebunden, den Dialog mit den Medien gesucht, die Berichterstattung geprüft und im zweiten Fall Spieß herumgedreht.“ Man habe Journalisten „als Detektive“ ins BAMF eingeladen und anschaulich dargestellt, wie schwierig es sei, die Echtheit von Pässen zu erkennen. Ihr Fazit: „Offenheit, Transparenz und Dialogbereitschaft haben sich für uns bewährt.“

„Social Media sind ein mächtiges Werkzeug“

Der zweite Behördensprecher war Marcus da Gloria Martins, der seit dem Münchner Amoklauf im Juli 2016 allseits bekannte Pressesprecher der Münchner Polizei. Bei seinem Auftritt standen dieses Mal die grundsätzlichen Schwierigkeiten von Behörden im Umgang mit Social Media im Mittelpunkt. Der mehrfach ausgezeichnete Polizeisprecher relativierte deren Bedeutung für die unmittelbare Gefahrensituation: „Das kann immer nur die Begleitmusik sein. Die telefonische Erreichbarkeit ist in Krisensituationen das A und O.“ Bei Social Media-Aktivitäten komme es darauf an, schnell zu antworten und – nach Möglichkeit – mit Humor. Bei einer großen Anzahl von Anfragen in einer Situation sei aber weder das eine noch das andere sofort machbar. Da Gloria Martins: „Als Behörden müssen wir im Bereich der digitalen Medien immer sprechfähig sein. Social Media sind ein mächtiges Werkzeug, sie müssen aber auch bedient werden. Als Sicherheitsbehörden hinken wir hier hinterher.“ Social Media ersetze auf gar keinen Fall eine klassische Pressearbeit, macht er außerdem klar

Krisengipfel 2017 VollesHausII LeipzigIm bunten Reigen der Vorträge stellten auch Jan Saeger, Kommunikationsdirektor bei der GfK SE in Nürnberg, Anja Tomic, stellvertretende Leiterin Unternehmenskommunikation der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH in Eschborn, Thomas Kuhlow, Leiter Kommunikation der InfraServ GmbH & Co. Knappsack KG, Athanasios Drougias, Leiter Unternehmenskommunikation der Barmer in Berlin, Benjamin Waschow, Leiter Unternehmenskommunikation und Pressesprecher des Universitätsklinikums Freiburg, und Gernot Lehr, Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Medienrecht und Partner bei Redeker Sellner Dahs Rechtsanwälte in Bonn, ihre Fälle vor.

Wertvolle Hinweise zur Rechtslage

Rechtsanwalt Lehr gab dem Publikum wertvolle Hinweise zur Rechtslage. Beispielsweise solle man bei journalistischen Anfragen nicht bedingungslos die von den Fragestellern gesetzten Fristen akzeptieren. Nach schriftlicher Anfrage habe jedes Unternehmen das Recht, eine angemessene Zeit für die Beantwortung zu beanspruchen – das könnten im Einzelfall auch mehrere Tage sein.

Speziell beim Thema Verdachtsberichterstattung führte Lehr die presserechtlichen Grundlagen aus und ermunterte die Zuhörerschaft von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Er nannte vier Voraussetzungen: 1) einen Mindestbestand an Beweistatsachen; 2) das öffentliche Informationsinteresse – das Recht zur identifizierbaren Berichterstattung; 3) sorgfältige, umfassende Recherchen mit allen Erkenntnisquellen, insbesondere echte Konfrontation des Betroffenen und Gelegenheit zur Stellungnahme; 4) ausgewogene und distanzierte Darstellung unter Berücksichtigung / Wiedergabe der Stellungnahme des Betroffenen, die deutlich macht, dass es sich nur um einen Verdacht handelt und jede Vorverurteilung vermeidet. Insbesondere Punkt 3) bedürfe der Beachtung, denn die echte Konfrontation des Betroffenen und die Gelegenheit zur Stellungnahme seien presserechtliche Voraussetzungen, die häufig missachtet würden, erklärte Lehr. „Wenn man bereits da ansetzt, dann führt ein juristischer Freispruch häufig auch zu einem medialen Freispruch“, erklärte er.

Mehr Raum für Diskussion

Der Krisenkommunikationsgipfel 2017 in Leipzig bot ein vollgepacktes Programm mit einer Fülle von Krisenbeschreibungen. Jeder Teilnehmer konnte sich herauspicken, was für ihn von Interesse war. Wünschenswert wäre jedoch für das nächste Mal ein erkennbarer roter Faden, eine bessere Gliederung der Fälle, mehr Zeit für Nachfragen sowie die Podiumsdiskussion (siehe dazu Bericht an anderer Stelle im „PR-Journal“).