Preise und Awards Nach Cannes: Was bleibt, was wird

Die Frage, die uns Juroren nun nach ein paar umtriebigen Nächten, nach verschiedenen Lunch- und Dinnermeetings umtreibt, ist: Was wird bleiben? Und warum. Ich werde versuchen, diese Frage nicht allein zu beantworten. In der intensiven Zusammenarbeit kristallisierte sich ein kleiner Trupp heraus und es ist mir eine Freude zu wissen, dass ich mit dieser Crew noch eine Weile verbunden bleiben werde. Doch erst einmal die Chronologie dessen, was direkt auf die Jury-Arbeit folgte.

Von links: Gabriel Araujo, Executive Creative Director bei Ketchum Brasilien, James Wright, CCO bei Havas in Australien, und Matthias Bonjer.

Nach der Awardshow und einer langen Nacht rund um das offizielle Opening Fest am Strand klopfte eine kleine Melancholie an meine Türe. Jetzt soll all das vorbei sein? Die Trophäen sind vergeben und so wirklich wollte keiner mehr alle an einen Tisch versammeln. Also sind wir drei, James, Gabriel und ich am Tag drauf für ein paar Stunden auf eine kleine Insel, weit weg vom aufkeimenden Cannes-Trubel, geflüchtet. Ich merkte den beiden an, dass ihnen die Kraft und Lust fehlte, über das Erlebte erneut zu reden. Wir sind dann doch nochmal alle Stereotypen der Juroren durchgegangen, haben hier und da respektvoll gehuldigt – oder eben nicht. Die Enge der großen Jurygruppe verpuffte.

Die meiste Zeit aber haben wir uns über vollkommen andere Dinge unterhalten. Es war wie eine angenehme Sommerbrise, die uns weg von den Inhalten der Croisette führte.

Und so lau verging auch der Abend.

„Reclaim the streets“

Tagsüber am Mittwoch, dem Tag der Fête de la Musique in der direkten Barmeile von Cannes, ließ sich der anstehende Abendwahnsinn erwarten. Ich beschloss meiner kleinen Depression eine Fahrt nach Antibes zur Seite zu stellen und genoss die zweite Tageshälfte mit einem schnellen Maxiroller.

Je weiter ich mich von der Jurywoche entferne, desto stärker frage ich mich, welche Erkenntnisse ich mitnehmen kann. PR ist gut. Wir haben mit dem Grand Prix eine Kampagne – Fearless Girl – ausgezeichnet, die auch in anderen Kategorien die Begehrteste aller Trophäen erhielt. Und es machte uns alle stolz, dass wir die ersten bei der Awardshow (mit drei weiteren Hauptkategorien) waren, die dieser Kampagne den Preis überreichte. „Reclaim the streets“ bleibt unser Motto, da sind wir uns einig. Wir fühlen in Cannes die Überzeugung, dass wir uns selbst es schwer machen würden, die PR als Kategorie verteidigen zu müssen. Es scheint ein Reflex der Branchen-Bescheidenheit zu sein, sich selbst nicht in den Vordergrund zu stellen.

Großartige PR-Momente

Viele Kampagnen, die wir ausgezeichnet haben, erhielten in anderen Kategorien ebenfalls herausragende Platzierungen. So entsteht in mir der Eindruck, dass wir mit der PR eigentlich schon lange hier sind, eine gelungene Einreichung ihre Geschichte überall erzählen kann und so die PR eher in andere Kategorien hineinträgt. Somit ist eben nicht die zunehmende Anzahl an innovativen Cases aus der Welt der Apps oder Webkampagnen, mithin Events, Werbeaktionen oder anderen Ansätze der Kreativität im Festival der World Champions Ausdruck, dass die PR sich verliert. Es ist genau umgekehrt: Diese Tools sind Taktiken und schaffen großartige PR-Momente durch ihre Geschichte. Ich bin zufrieden über die von allen Juroren, mit denen ich nun die Folgetage verbrachte, geteilte Meinung.

Cannes 2017 Gabriel JurymitgliedUnser Superstar aus Brasilien, Gabriel Araujo (Foto l.), Executive Creative Director bei Ketchum Brazilien, schrieb dazu im Ketchum-Blog einige Punkte auf, die wir alle unterschreiben können. Herausheben will ich aber seinen Eindruck, dass es eben auch eine Produktvariation, einen Prototypen benötigt, um die Geschichte zu erzählen, die als PR wirkt. Er nahm zudem auf, was unter uns zu einem geflügelten Wort wurde: „and then it break the internet“. Nein, keiner der eingereichten Casefilme konnte das Internet quasi zerbrechen lassen, aufgrund der „awesome amount of engagements by targeted audience“. Das glaubt in der Jury keiner und so helfen auch keine 1.2 billion of something.

Gabriel selbst hatte die wohl größte Reputation in der Dreiercrew: Jeden Abend bildeten sich Schlangen von jungen Kreativen, die mit ihm ein Selfie machten. Jeder Gang mit ihm durch die Veranstaltungen, Empfänge etc. wurde zu einer Art „stop and go“, da er quasi jeden zu kennen scheint. Oder umgekehrt. Ich glaube, ich habe der Hälfte aller Kreativen aus Brasilien die Hand geschüttelt. Wir nannten ihn scherzhaft „Godfather“.

Cannes - ein unendlicher Quell witziger Beobachtungen

Zum inneren Circle zählt auch James Wright, CCO bei Havas in Australien und gebürtiger Brite. In ihm steckt eindeutig ein Comedian. Die meisten seiner Sprüche NACH der Juryarbeit haben uns zu Lachkrämpfen verführt. Selten habe ich jemanden mit einem so britischen Humor erlebt, zeitweise befand ich mich im Flying Circus von Monthy Phytons heimlichem Mitglied.

Für James, der als einziger von uns das zweite Mal in der PR-Jury mitwirkte, scheint Cannes ein unendlicher Quell an witzigen Beobachtungen zu sein. Und er hatte die Ehre Hale Berry zu interviewen. Sie ist Symbol einer neuen Cannes-Erscheinung, die dem Festival hier deutlich mehr Glanz in den Kongress-Beiträgen verleiht. James, als scharfzüngiger Comedian, sagt: “Very simply, great work, works.”

Und er sprach mir aus dem Herzen, als er kurz vor seinem Abflug anmerkte, dass er mindestens eben soviel aus der Zeit nach den Sitzungen mitgenommen hat, wie während der Jury-Arbeit.

Cannes als ideale Plattform sich mit anderen Disziplinen zu messen

Salvador da Cunha, Gründer & CEO der hundertköpfigen Agentur Lift World, Lissabon, war schlicht „the guy“. Ursprünglich befanden wir ihn würdig, die Rolle des „Godfathers“ zu übernehmen, doch manche seiner Eingaben während der Jury-Sitzungen waren zu deutliche Kampfansagen gegen die laufende Diskussion. Ein Pate kämpft nicht, er lässt kämpfen. Aus seiner Sicht wird Cannes sicherlich der „place to be“ bleiben in den kommenden Jahren. Er sieht gerade für die PR Cannes als eine ideale Plattform sich mit anderen Disziplinen zu messen. Ein Kämpfer eben.

Also: was bleibt von Cannes? Cannes. Es sind die Leute, die man durch die Juryarbeit in sechs harten Tagen von Kollegen zu Brüdern werden lässt. Wir sind verabredet, in Cannes 2018! Und wir werden alles dafür tun, uns mit unseren Landesvertretern jeweils zu unterstützen. Genug Insights haben wir, Casefilme kann ich quasi aus jeder Situation heraus scripten und PR ist eine der fantastischsten Kreativdisziplinen des Festivals. Ich nehme mit, wie PR größer wird und beende innerlich die ewige Rolle als „neu zu definierende Disziplin“.