Bei einer Mitarbeiterempfehlung sollte der Besetzungsprozess keine 50 Tage dauern.

Headhuntern die rote Karte zeigen, Stellenanzeigen streichen, massiv in ein Mitarbeiterempfehlungsprogramm investieren - und Beraterinnen und Berater stehen Schlange vor der Agentur? 

Geht es nach dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dann müssten Agenturen und Unternehmen auf Empfehlungen setzen und alles ist gut.

32 Prozent aller Neueinstellungen kommen über die Nutzung persönlicher Kontakte zustande. Bei Kleinbetrieben beträgt der Anteil sogar 47 Prozent. Das geht aus der am 22. August veröffentlichten IAB-Stellenerhebung hervor, die Antworten von rund 11.500 Arbeitgebern ausgewertet hat. Die Idee ist grundsätzlich nicht schlecht, Empfehlungen sind aber kein Allheilmittel.

Können Agenturen vom Handwerk lernen?
Das IAB betont, dass vor allem Kleinunternehmen hier sehr erfolgreich sind und nennt als Beispiel Handwerksbetriebe. Das ist kein Zufall, denn im Handwerk gilt: Die Rekrutierung erfolgt in erster Linie vor Ort. Bewerber im Handwerk sind selten gesinnt, für den Job oder einen Ausbildungsplatz umzuziehen. Deshalb ist in vielen Städten der Wettbewerb um gute Kräfte ausgesprochen hart, denn diese sind kaum zu bekommen. Für die erfolgreichen Handwerksunternehmen arbeitet ihr guter Ruf, den sie sich über die Jahre aufgebaut haben - und eine stetige Präsenz bei den Zielgruppen. Das ist grundsätzlich ein gutes Rezept für alle Unternehmen. So manche Aktion der Handwerksbetriebe könnte auch für Agenturen sinnvoll sein.

Das Image entscheidet über den Erfolg
Es soll auch große Unternehmen geben, die 25 Prozent ihrer Neueinstellungen per Empfehlung generieren. Jetzt muss ein „aber“ kommen: Ein solches Programm will wohlüberlegt sein und funktioniert nur, wenn das Image des Unternehmens zu Empfehlungen ermuntert. Längst nicht alle Mitarbeiter sind gewillt, ihr eigenes Unternehmen, ihre Agentur, weiterzuempfehlen. Zweifel daran? Dann einfach mal per Google nach „Gallup Engagement Index“ suchen. Die Ergebnisse der jährlichen Umfragen sind ernüchternd: Die meisten Mitarbeiter sind wenig begeistert von ihrem Arbeitgeber. Konkreter, wenn auch nicht immer ermutigender, sind Bewertungen der Agentur beziehungsweise des Unternehmens auf kununu. Wer hier schlecht abschneidet, sollte über Mitarbeiterempfehlungen nicht weiter nachdenken.

Prozesse müssen angepasst werden
Mitarbeiterempfehlungen generieren, das bedeutet Aufwand. Arbeitgeber sind gefordert, das Programm stets aufs Neue bei den Mitarbeitern bekannt zu machen und den Eindruck zu vermitteln, dass Bewerbungen per Empfehlung absolut erwünscht sind. Viele Unternehmen patzen in dieser Hinsicht: Da werden neue Mitarbeiter empfohlen – und diese landen dann im üblichen Bewerberpool. Sprich: Nach Tagen oder gar Wochen erhalten sie eine Mail nach dem Motto „vielen Dank für Ihre Bewerbung“ und dass sie sich noch etwas gedulden sollen. Darüber freuen sich weder Bewerber noch Empfehlungsgeber. Hier kann ein Empfehlungsprogramm schnell einen negativen Effekt erzeugen.

Der Maßnahmen-Mix macht es
Und: Eine solches Programm wird die Agentur oder das Unternehmen nicht davon befreien, weitere Recruiting-Kanäle zu bespielen. Die meisten Einstellungen erfolgen nach wie vor über Online-Jobbörsen wie die des PR-Journals, gefolgt von der eigenen Karriereseite, Netzwerke wie XING und LinkedIn spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Fast alle einschlägigen Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich der Relevanz der Recruiting-Kanäle. Das IAB macht insofern eine Ausnahme, als das Ergebnis zu Mitarbeiterempfehlungen sehr deutlich von der Norm abweicht. So landen Einstellungen per Mitarbeiterempfehlungen in der Studie „Recruiting Trends 2017“ der Universität Bamberg zwar auf Platz Vier, hinter Online-Stellenbörsen, Unternehmenswebseite und Print (!).

Allerdings sollte man sich auch die prozentualen Anteile der Kanäle an den Einstellungen ansehen: Jobbörse 41 Prozent, Unternehmenswebseite 27 Prozent und Mitarbeiterempfehlungen acht Prozent. Das ist weit entfernt von den 32 Prozent des IAB. Vor diesem Hintergrund gilt: Umfragen zu Recruiting-Kanälen kritisch lesen, erst die eigenen Zielgruppen festlegen und dann definieren, wo und wie man diese erfolgreich erreichen kann. Dieses aus PR-Konzepten bekannte Vorgehen ist auch im Recruiting ein guter Weg. Sehr schnell wird sich dann herausstellen, dass nur ein Maßnahmen-Mix gute Ergebnisse bringen wird.

Über den Autor: Helge Weinberg ist Journalist aus Hamburg und Mitglied der Redaktionen des „PR-Journals“, „DPRG Journals“ und des „Crosswater Job Guide“. Zudem schreibt er als Freelancer in diversen Fachzeitschriften über Arbeitgeberkommunikation, Employer Branding und Personalmarketing.


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