Fake Illu by Peter Derrfuss pixelio.deWenn die AfD-Bundessprecherin Frauke Petry fordert, illegale Grenzübertritte müssten Grenzpolizisten mit Gebrauch der Schusswaffe verhindern, der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (CDU) nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz von einem „Kriegszustand“ spricht oder der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer philosophiert, das Schlimmste sei ein „fußballspielender, ministrierender Sengalese, der über drei Jahre da ist“, weil dieser sich nicht mehr abschieben lasse, dann führt das regelmäßig zu Empörung in den Medien. Populismus und Menschenverachtung lautet der Vorwurf – Talkshows widmen sich dem Thema; Leitartikel werden verfasst. Die mediale Berichterstattung ist enorm.
(Illustration: © Peter Derrfuss, pixelio.de)

Die Wahlresultate und Umfrageergebnisse der AfD sprechen dagegen, dass die mediale Dauerempörung der richtige Weg ist, um Populisten zu entlarven und Wähler zurückgewinnen. Mit welchen Strategien können Parteien und Medien 2017 aber dem postfaktischen Populismus begegnen und die Deutungshoheit über das politische Agenda Setting wiedererlangen? Diese Frage hat das „PR-Journal“ den Wahlkampfberatern und Agenturchefs Heiko Kretschmer (Johanssen + Kretschmer), Lutz Meyer (Fullberry) und Hans Langguth (Zum goldenen Hirschen) gestellt.

Langguth Hans copyright harry weberFür Langguth (Foto l., © Harry Weber) ist klar: Es gelte, die „Herzen und Hirne“ der Verunsicherten, Enttäuschten und Zweifelnden zurückzugewinnen. „Klingt einfach, ist aber schwer in Zeiten der Verunsicherung. Mitreißende Reden, begeisternde Kommunikation wären mal ein Anfang.“ Parteien könnten nur mit klarer Kante in der Programmatik Erkennbarkeit und neue Anziehungskraft schaffen. „Unbeirrbarkeit schafft neues Vertrauen, und dazu gehört auch, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das einem hingehalten wird. Lügnern und Leugnern kommt man nur bedingt mit Fakten bei, mehr mit Haltung und Hinwendung.“

Meyer Lutz FlumberryLutz Meyer (r.) fordert von Parteien und Politikern eine klare Sprache: „Schluss mit dem Plastikdeutsch! Trump hat auch gewonnen, weil er eine einfache Sprache verwendet, die die Leute zu verstehen glauben. Es wäre fatal, dies den Populisten zu überlassen. Eine normale Nachrichtensendung im Deutschlandfunk versteht kaum mehr einer. Gleiches gilt für die Tagesschau und die Bundestagsdebatten.“ Der Berliner Kommunikationsberater fordert neue Gesprächsplattformen zwischen Bürgern und Politikern. Talkshows hätten sich totgelaufen. Stattdessen müssten neue Erlebnisformate her.

Wie umgehen mit der allgemeinen Verunsicherung?

Das postfaktische Zeitalter ist geprägt von Unsicherheit sowie einem Vertrauensverlust von Politik und Medien. „Lügenpresse“-Vorwürfe verfolgen das Ziel, die Glaubwürdigkeit von Journalisten zu untergraben und sie mit Druck dazu zu zwingen, insbesondere rechten Positionen mehr Raum und Akzeptanz zu geben. Absurdeste Theorien werden in sozialen Netzwerken dankbar aufgegriffen – beginnend bei als Falschmeldungen entlarvten angeblichen Vergewaltigungen durch Migranten bis hin zu der aus der Luft gegriffenen Behauptung, Barack Obama sei muslimischen Glaubens – die Mutter aller Fake News. (Siehe dazu den Bericht vom 18. September 2015 auf der CNN-Website.)

Kretschmer Heiko JuK 2017Wieso werden derartige Unwahrheiten tausendfach in den sozialen Netzen geteilt? Heiko Kretschmer (l.) hält es nicht für ausgeschlossen, dass dieser Trend weniger wird. Er erkennt bei Internetusern ein Umdenken und verweist auf das Verhalten nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Vergleich zu dem im Anschluss an Amoklauf in München. Viele User würden inzwischen verstehen, „dass entrüstetes Retweeten und Posten nur zur Verbreitung von Hate Speech beiträgt. Einfach still und leise alle solche Tweets und Posts an die Plattformbetreiber melden und stattdessen die Nachrichten der Polizei weiterverbreiten: Das ist die richtige Reaktion.“ Kretschmer zeigt sich skeptisch, „ob auch die klassischen Medien diese Lernkurve zeigen oder wie in den vergangenen zwei Jahren jeden Unsinn weiterverbreiten und so Fake News und Hate Speech bald mehr Raum einräumen als den eigentlichen Nachrichten.“

Bundesjustizminister Heiko Maas bemüht sich, Plattformbetreiber wie Facebook und Twitter dazu zu bewegen, Hetze, Beleidigungen und zu Straftaten auffordernde Posts schneller zu löschen sowie Fake News zu entfernen, kommt aber nicht recht voran. „Der Ball liegt nun bei den Plattformbetreibern, die ihrer Verantwortung gerecht werden müssen. Und da gibt es Anlass zur Sorge“, meint Heiko Kretschmer. Zurecht, denn im Interview mit „Bild“ am 16. Januar sagte Sheryl Sandberg (47), seit 2008 Chief Operating Officer von Facebook: „Wir sagen ganz klar: Wir wollen nicht entscheiden, was die Wahrheit ist. Und ich glaube, niemand will, dass wir das tun. Also müssen wir mit Dritten zusammenarbeiten, die Experten sind.“

Twitter, so Kretschmer weiter, verstecke sich nur hinter seinen Twitter Rules oder stelle sich schlicht tot. Ein bekanntes Muster: Selbst ein bekannter Journalist wie „Spiegel-Online“-Kolumnist Jan Fleischhauer erhalte als Reaktion auf das Melden von rechtswidrigen Inhalten gerne nur „schöne Grüße vom Facebook-Team“, berichtet er.

Fake News und Social Bots

Die etablierten Parteien haben sich bereit erklärt, auf Fake News und Social Bots im Wahlkampf zu verzichten – ein erster Schritt in die richtige Richtung, so Kretschmer. Allerdings gibt es nicht nur diejenigen Unwahrheiten, die von politischen Akteuren in den Umlauf gebracht werden, um einen Gegner zu diskreditieren. Es existieren zusätzlich kommerzielle Fake News, verbreitet, um User auf bestimmte Webseiten zu lotsen, was dann wiederum durch die Klicks zu Werbeeinnahmen bei den Betreibern führt. Die mazedonische Stadt Veles hat sich in der Endphase des US-Wahlkampfs als Zentrum für das Absenden dieser Art von Lügen herauskristallisiert. (Siehe dazu einen Bericht in „Zeit online“ vom 18. Dezember 2016.)

Um der Masse an Fake News zu begegnen, plane das Innenministerium beim Bundespresseamt ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ einzurichten. Das berichtete der „Spiegel“. Lutz Meyer hält von dem Ansatz der Netzüberwachung durch eine Behörde mit Zensurauftrag gar nichts. Etwas Falsches zu behaupten, ist grundsätzlich nicht illegal. „Das ist nun wahrlich keine gute Idee des Bundesinnenministeriums, weil sie die Debatte über die angeblich gelenkte Meinung sehr gekonnt befeuert. Besser wäre eine neutrale Stelle beim Deutschen Journalisten-Verband, die man aus Steuermitteln zahlen kann – aber eben unabhängig.“ Social Bots empfiehlt Meyer zu verbieten, da sie zutiefst undemokratisch seien. Die verantwortlichen Parteien gelte es juristisch zu belangen.

Vielleicht hilft gegen Fake News auch mehr Medienkompetenz wie sie der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Gebhard Fürst, vorschlägt. Je intransparenter das digitale Netz sei, desto kompetenter müssten die Bürger im Umgang damit werden, sagt er.


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