Social Media Kehrt mit Snapchat das Experimentelle in die PR zurück? Interview mit Digital-Experte Daniel Rehn

Rehn Daniel achtungDie Messenger-App und Social Media-Plattform Snapchat ist bereits seit 2011 auf dem Markt. Sie fristete in Deutschland lange Zeit ein Nischendasein – weniger bei den Nutzern als vielmehr bei Unternehmen und deren Kommunikationsabteilungen. Nachrichten, Fotos und Videos verschwinden auf Snapchat rigoros nach 24 Stunden. „Deutschland hängt bei Online-Entwicklungen gerne mal zwei bis drei Jahre hinter den USA zurück. Wir warten eher ab, statt uns auf alles Neue zu stürzen“, erklärt Daniel Rehn (Foto), Digital Trend-Scout bei der Hamburger Agentur achtung!, im „PR-Journal“-Interview. Mit steigenden Nutzerzahlen insbesondere bei der begehrten Generation der 18- bis 34-Jährigen – der Hauptzielgruppe von Snapchat – sind nun immer mehr deutsche Unternehmen und Agenturen auf der Plattform aktiv.
PR-Journal: Herr Rehn, welche Unternehmen sind bereits auf Snapchat vertreten?
Daniel Rehn: Aktuell punkten hauptsächlich Firmen und Marken aus den Bereichen Consumer Goods, Lifestyle, Mode, Sport und Event auf Snapchat – das reicht von Marken wie Nike und Adidas, dem FC Bayern München bis hin zu Sixt und Henkel für Schwarzkopf. Also diejenigen Unternehmen, die sich an eine junge Zielgruppe wenden und erkannt haben, dass sie über herkömmliche Medien und etablierte Social Media-Kanäle wie Facebook und Twitter ihre jugendliche Klientel nicht mehr in demselben Maße erreichen.

PR-Journal: Was treibt die Unternehmen auf Snapchat?
Rehn: Snapchat erreicht in den USA laut eigenen Angaben eine Durchdringung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 41 Prozent. Fast jeder Zweite nutzt die App. Und das täglich. Davon sind wir in Deutschland zwar noch weit entfernt, aber der Trend ist klar: Die App trifft den Nerv besonders junger User. Snapchat erreicht – je nach Zählart – mit täglich mehr als zehn Milliarden Videoaufrufen höhere Werte als Facebook. Weltweit sollen es 100 Millionen täglich aktive User sein.

PR-Journal: Ist die App als Kommunikationstool auch für Unternehmen aus Branchen wie Bankenwesen, Chemie, Pharma und Automobil interessant?
Rehn: Man sollte sie zumindest als Mittel der Personalrekrutierung in Betracht ziehen, wenn ein Unternehmen schon nicht für eine junge Zielgruppe interessant über seine Produkte sprechen kann. So wie beispielsweise Rewe-Karriere zu zeigen, wie eine Ausbildung im Unternehmen aussehen könnte, ist eine ideale Möglichkeit, um sich selbst ins Spiel zu bringen. Dort flankiert man Snapchat sehr clever mit Facebook und Whatsapp, um in der Kommunikationswirklichkeit der Schüler und Abgänger präsent zu sein. Wer etwas zu erzählen hat und sich glaubwürdig präsentieren möchte, für den ist Snapchat eine Option.

PR-Journal: Warum ist die Applikation für die junge Zielgruppe so attraktiv?
Rehn: Junge Menschen machen im Digitalen dasselbe, was sie auch im Analogen tun: Sie suchen sich eigene Räume, um unter sich bleiben zu können. So wie der Nachwuchs beim Telefonieren das Zimmer wechselt, sobald die Eltern reinkommen, wechseln sie jetzt die Plattformen. Facebook ist so gesehen nicht mehr die attraktivste Option, weil Mama und Papa ebenfalls dort sind. Gleiches gilt für Marken, die das Nutzererlebnis mit aus Sicht der Jungen altbackener Werbung stören. Twitter und Instagram funktionieren als Ersatzzuflucht, da beide komplett auf den Nutzer zugeschnitten sind und man mit anonymen Usernamen abtauchen kann, aber auch hier durchzieht Werbung mit Hochglanzbildern die Streams.
Snapchat hingegen ist der Messenger, der visuell perfekt funktioniert, schnell zu bedienen ist und – ganz wichtig – Vergänglichkeit bedeutet. Die Tatsache, dass Nachrichten auf Snapchat wieder verschwinden, befreit die User vom ‚Das-Internet-vergisst-nichts‘-Credo der Elterngeneration. Im Umkehrschluss bedeutet die Vergänglichkeit der Inhalte aber auch, dass man ständig etwas verpassen könnte. Also schaut man laufend rein, was es Neues in den Stories der Kontakte gibt.

Immer „on the fly“

PR-Journal: Wie sollte Unternehmenskommunikation auf Snapchat aussehen?
Rehn: Die App bringt ein Stück mehr Kreativität und Spontanität in die Kommunikation zurück. Es ist unperfekt, immer ‚on the fly‘; albern. Fotos und Videos dürfen auch mal verwackelt sein. Jeder nimmt seine Freunde und Follower mit und teilt Momente, die tatsächlich eben erst passiert sind. Man lässt die User an etwas Spannendem teilhaben.
Für Unternehmen bedeutet das, Mut zum Experimentieren zu entwickeln und auch einmal Ungewöhnliches auszuprobieren. Eben weil man kein perfektes Drehbuch für Snaps aufsetzen kann. Derjenige, der den Account und das Smartphone führt, muss überzeugen. In der Folge muss man lernen loszulassen und Kontrollverlust zu akzeptieren. Ich kann Snaps nicht erst durch zig Abstimmungsschleifen laufen lassen. Entweder ich poste oder ich lasse es. Für uns als Agentur ist das toll, da jedes Projekt mit Snapchat auch bedeutet, dass das Vertrauen in unsere Einschätzung und das, was wir tun, enorm ist.

PR-Journal: Woher kommt der Mut zum Risiko in Zeiten, in denen die Angst vorm Shitstorm oftmals lähmt?
Rehn: Es beruhigt auf jeden Fall, dass die Inhalte sich nach maximal 24 Stunden von selbst in Luft auflösen. Man kommuniziert freier, da das Risiko einen kommunikativen Fehltritt schon beim Betrachten direkt zu dokumentieren und zu verbreiten anders als bei Facebook, Twitter oder Instagram weitaus niedriger ist.
Ich bin als Marke nicht gezwungen, laufend zu liefern, um von einem Algorithmus gepusht zu werden oder Likes sammeln zu müssen. Wenn neue Updates da sind, dann sehen meine Follower sie in ihrem Story-Bereich. Im Zweifelsfall verpasst man als User dann halt etwas.

PR-Journal: Lässt sich der Erfolg auf Snapchat messen?
Rehn: Das ist aus unserer Sicht immer noch eine der Schwachstellen. Snapchat hat einen extrem explorativen Charakter. Ich muss gezielt nach anderen Accounts suchen oder auf sie aufmerksam gemacht werden, um sie zu finden. Darum haben etliche (US-)Marken ihre Social Media-Profile als Wegweiser zu ihren Snapchat-Accounts genutzt und Profilbilder gegen Snapcodes getauscht. Eine tatsächliche Reichweite muss man als Neuling also von Null aufbauen, ohne genau zu wissen, wie viele es tatsächlich sind.
Bei den Stories erhält man Angaben zu den Views inklusive der Nutzernamen der Zuschauer, aber auch das ist nur eine weitere Zahl, die eingeordnet werden muss. Allerdings ist dieses Fehlen von unzähligen Metriken auch eine Befreiung, um einfach spontan zu kommunizieren.

PR-Journal: Was für Projekte hat Ihre Agentur bereits auf Snapchat umgesetzt?
Rehn: Wir begleiten vor allem unseren Kunden Henkel mit seiner Serie Schwarzkopf Professional bei Shootings und Events. Dort präsentieren wir dann auf Snapchat inklusive Backstage-Eindrücken von den Top-Stylisten und Models. Während links Kameramann und Fotograf mit ihrem Profiequipment für die Bilderwelten der übrigen Kanäle sorgen, stehen wir rechts mit dem Smartphone in der Hand daneben und bedienen Snapchat verspielter als sonst in Ton, Wort, Bild und Video. Ergänzend dazu haben wir auch schon reichweitenstarke Blogger und YouTuber für uns als Testimonials und Snapchat-Reporter auf Events wie die Bambi-Verleihung geschickt, um vom Roten Teppich zu berichten.

PR-Journal: Welches Potenzial sehen Sie langfristig in Snapchat?
Rehn: Ich bin mir sicher, ob sich der Hype noch eine Weile halten wird, nur um Snapchat dann als fest etablierten Channel in alle Überlegungen einzubeziehen. Das gilt umso mehr, wenn das Unternehmen es schafft, zum relevanten News-Lieferanten der jungen Generation zu werden. Noch hat der Discover-Bereich viel Luft nach oben, kann aber durch seine einzigartige Aufmachung ordentlich punkten.
Zudem beweist Snapchat ja bereits, dass man in der Lage ist, die App zu monetarisieren. Etwa über die nach wie vor nicht günstigen Lenses, für die Marken gutes Geld springen lassen, oder die in Deutschland noch nicht verfügbaren On-Demand-Filter, bei denen Nutzer zeitlich und lokal begrenzt eigene Layer für ihre kleinen und großen Events generieren können. Die Summe an Kleinstbeträgen, die sich dort ergibt, dürfte ebenfalls nicht zu verachten sein.

PR-Journal: Vielen Dank für das Gespräch.

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