„Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Botschaft. Eine wichtige Botschaft. Sie löst Probleme. Sie hilft den Menschen. Bietet Ihnen Außerordentliches. Und was machen die Menschen? Die hören nicht zu! Sind widerspenstig. Verbiegen Ihre Botschaft. Füllen Sie ungefragt mit eigenem Inhalt.“ Wenn ein Fachbuch mit diesem Texteinstieg beginnt, liegen zwei Vermutungen nahe: Es handelt sich um eine triviale Einführung für Laien oder um die präzise, vereinfachte Darstellung eines komplexen Problems. Letztes ist der Fall: Mit dem Handbuch Wirtschaftskommunikation widmen sich die Herausgeber Inga Ellen Kastens und Albert Busch einem höchstrelevanten Thema in Wissenschaft und Praxis der Unternehmenskommunikation.

Der Fokus der Disziplin ist bislang stark geprägt von einem strategischen Denken, das sich durch Kommunikationskonzepte, operative Planung und Umsetzung zieht – was durchaus sinnvoll ist, aber eine ungemütliche Tatsache völlig ausblendet: Das Gelingen jeder Form von Kommunikation und Botschaftsübermittlung hängt nicht nur vom Sender ab.

Rezipienten nehmen Inhalte aber oftmals nicht in der strategisch vorgesehenen Weise wahr, sondern wandeln diese innerhalb ihres sozialen Umfelds individuell um. Bedeutung wird konstruiert, Inhalte werden umcodiert. Erschwerend kommt hinzu: Die Rezipienten werden heute selbst zum Produzenten, indem sie mit ihrem sozialen Umfeld – online wie offline – ein eigenes Verständnis aushandeln. Die rein instrumentell geprägte Denkweise von Kommunikation führt zu dem trügerischen Glauben an die einseitige Steuerung von Meinungen und Einstellungen, von Bildern über Marken und Unternehmen – die es nicht gibt.

Würde man beispielsweise Verhaltensrichtlinien für Mitarbeiter in einer Diskursanalyse mit Gesprächen darüber im Pausenraum vergleichen, käme man sehr wahrscheinlich schnell zu dem Ergebnis: Begriffsverschiebungen, Bedeutungsverzerrungen und semantische Weiterentwicklungen sind an der Tagesordnung.

Denkanstöße und Fallbeispiele: Der Praxiswert des Buchs

In dem Handbuch summieren die Autoren interdisziplinäre Zugänge zur Beschäftigung mit der Unternehmenskommunikation, indem das Kommunikationsverständnis aus geisteswissenschaftlichen Perspektiven diskutiert wird. Linguistische Ansätze werden dabei mit brandaktuellen Fragestellungen aus der Praxis verknüpft. Die Entwicklung von einer technischen zu einer semantischen Markenführung: so könnte man den roten Faden des Handbuchs beschreiben.

Das Ergebnis: viele wertvolle Impulse für die theoretische Auseinandersetzung mit Kommunikation und praxisbezogenen Themensetzungen. Wie kann man Veränderungsprozesse diskursanalytisch untersuchen? Wie lassen sich die Strukturen von Öffentlichkeiten im Social Web fassen? Welchen Beitrag kann die Marktforschung zu einer gelingenden Unternehmenskommunikation beitragen? Wie lässt sich eine neue Gesprächskultur im Unternehmen etablieren?

Die Beiträge zeigen geisteswissenschaftliche Zugänge, aber auch ganz handfeste Cases aus der Unternehmenspraxis. Eingeleitet wird das Buch von grundsätzlichen Ausführungen von Inga Ellen Kastens, Expertin für linguistische Markenführung. Sie ist in der Unternehmensberatung genauso zu Hause wie an der Hochschule. Ihre Erfahrung aus der Praxis macht die Texte sehr gut lesbar, auch für fachfremde „Nicht-Linguisten“.

Neue Denke für die Unternehmenskommunikation

Das Handbuch hat das Zeug dazu, beim Leser zu „Aha“-Erlebnissen führen und einen Blick über den Tellerrand der eigenen Handlungsweise zu ermöglichen. Der Prolog mit dem Titel „Neues Denken in der Wirtschaftskommunikation“ umreißt sehr gut, dass es um ein anderes Kommunikationsverständnis geht, das heute wichtiger ist denn je. Dynamische Aushandlung von Bedeutung ist in der heutigen Kommunikationslandschaft das entscheidende Stichwort. Das Handbuch hat einen fundierten wissenschaftlichen Background mit renommierten Wissenschaftlern der Fachdisziplinen. Es ist aber in jedem Fall auch Praktikern zu empfehlen, die einen hohen Anspruch an ihre Arbeit haben, Dinge hinterfragen und Lust haben, sich auch durch theoretische Zugänge inspirieren zu lassen. Das Fazit: Absolut empfehlenswert.

Über die Autorin: Annika Schach (39) ist Professorin für Angewandte Public Relations an der Hochschule Hannover. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der linguistischen PR-Forschung, der Auseinandersetzung mit Sprache und Textstrategien.

Titel: Handbuch Wirtschaftskommunikation – Interdisziplinäre Zugänge zur Unternehmenskommunikation; Herausgeber: Inga Ellen Kastens, Albert Busch; Verlag: UTB GmbH, Tübingen 2016; Umfang: 648 Seiten; Preis: 49,99 Euro; ISBN: 978-3825286866


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