Rezensionen Rezension: Sigmar Gabriel – Menschenfänger und kompromissloser Machtpolitiker

Gabriel Sigmar Buchcover dtvNatürlich musste es Altkanzler Gerhard Schröder sein, der das Buch „Sigmar Gabriel. Patron und Provokateur“ in Berlin vorstellte. Schröder gilt als Entdecker und Förderer Sigmar Gabriels während ihrer gemeinsamen Zeit in Niedersachsen. In den kommenden Wochen steht die Entscheidung an, ob SPD-Chef Gabriel auch Kanzlerkandidat der Partei werden wird, was nach der Durchsetzung von Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsidentenkandidat eher wahrscheinlicher als unwahrscheinlicher geworden ist. Der Frage, ob Gabriel selbst die Kanzlerrolle ausfüllen könne und für diese geeignet sei, gehen mit Christoph Hickmann von der „Süddeutschen Zeitung“ und Daniel Friedrich Sturm von „Die Welt“ zwei der profiliertesten Hauptstadt-Korrespondenten und SPD-Kenner in ihrem 320 Seiten starken Buch nach.

Mehr als 120 Personen aus Gabriels Umfeld haben die beiden Journalisten interviewt. Allerdings haben sie nur zweimal mit Gabriel selbst gesprochen, was überrascht, aber auch gleichzeitig journalistische Distanz erkennen lässt. In der Beurteilung Gabriels geht es Hickmann und Sturm wie den meisten Bürgern und Bürgerinnen: Sie erkennen seine rhetorische Brillanz und seine Fähigkeit, im direkten Kontakt Menschen einzunehmen ebenso an, wie die emotionale Stimmung der Bevölkerung zu erspüren.

Am Ende bleibt aber auch die Beschreibung eines kompromisslosen Machtpolitikers, der Parteikollegen wie Heiko Maas und Olaf Scholz genauso brüskiert und bloßstellt wie Mitarbeiter aus dem Willy-Brandt-Haus, die unter einem Schwall von spontan entwickelten Ideen Gabriels zu leiden hätten. Sinnbildlich der Hinweis von Hickmann und Sturm, dass der SPD-Chef Termine ständig aus Krankheitsgründen oder aufgrund von Todesfällen absagen würde. Wer Belege für die Gabriel häufig attestierte Sprunghaftigkeit, fehlende Glaubwürdigkeit und Unstetigkeit sucht, wird in dem Buch reichlich fündig.

Auch die mediale Eigenpräsentation des SPD-Vorsitzenden wird kritisch hinterfragt, wenn es um die Aufarbeitung der Geschichte von Gabriels Vater – einem offenkundig autoritären und nationalistisch eingestellten Mann, unter dem Sigmar sehr zu leiden hatte – oder die Einladung von Boulevardmedien wie „Bunte“ zu ausführlichen Home-Stories geht, falls es gerade politisch opportun erscheint.

Die beiden Autoren wollen die Bewertung der Kanzlerfähigkeit dem Leser überlassen, schließen die 320 Seiten aber vielsagend: „Es ist eine Zeit, die eigentlich vieles von dem gebrauchen könnte, was Sigmar Gabriel kann. Was diese Zeit nicht braucht: den Sigmar Gabriel, der er die meiste Zeit seines politischen Lebens gewesen ist.“ Kann sich ein 57-Jähriger noch ändern?

Titel: „Sigmar Gabriel, Patron und Provokateur“, Autoren: Christoph Hickmann und Daniel Friedrich Sturm; Verlag: dtv Verlagsgesellschaft 2016; Umfang: 320 Seiten gebunden; Preis: 24,00 Euro; ISBN-10: 3423281049

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