Autoren-Beiträge Autorenbeitrag: Wie gesellschaftliche Veränderungen auf Social Media-Strategien wirken

Forthmann Joerg Gf FaktenkontorIISocial Media-Strategien entstehen nicht im luftleeren Raum. Wer erfolgreich sein will, muss das Lebensumfeld seiner Zielgruppen begreifen und die gesellschaftlichen Entwicklungen verstehen, die dahinter wirken. Das zwingt Unternehmen, ihre Social Media-Strategien konsequent aus der Perspektive ihrer Zielgruppen zu entwickeln.

Bei dem nachfolgenden Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus dem Buch „Vordenker in der Social-Media-Strategie“, das Forthmann gemeinsam mit seinem Partner bei Faktenkontor, Roland Heintze, verfasst hat. Es erscheint ist Anfang 2017 im Buchhandel erschienen. Jörg Forthmann (Foto) ist geschäftsführender Gesellschafter der Faktenkontor GmbH, Hamburg.

Die Gesellschaft ist im Umbruch, und mit ihr die Mediennutzung: „Vorbei ist die Orientierung früherer Jahrzehnte auf eine Konsens- und Freizeitgesellschaft, in der ein wachsender Mittelstand auch bei schwächeren Gesellschaftsschichten die Hoffnung nährte, durch Bildung und Arbeit aufzusteigen. Die vierköpfige Normfamilie mit Normalarbeitsverhältnissen und Normalbiographien ist passé. Heute zerfällt unsere Gesellschaft in etliche Teil- und mitunter Parallelgesellschaften, und prägend sind nicht nur Migrationshintergründe, sondern viel stärker die auseinanderdriftenden Lebenswelten: hinsichtlich Einkommen, Bildung, kultureller Orientierung, Ängsten und Lebenszielen. Damit wird auch der Typus der auflagen- und frequenzstarken „Konsenspresse“ unaufhaltsam obsoleter“, analysiert ver.di. Das Ergebnis dieses Abwendens von der „Konsenspresse“ ist bekannt: Die Auflagen von Printtiteln sind im freien Fall. Mittlerweile sind stattdessen 63 Prozent der Deutschen „always on“, zu einem Gutteil als Getriebene, nichts verpassen zu dürfen.

In diesem Umfeld ist es wichtig zu begreifen, wie die gesellschaftlichen Veränderungen auf das Verhältnis zwischen Unternehmen und Bürgern wirken, um in den sozialen Medien eine strategisch kluge Position zu besetzen: Wo Politik, Kirche und Gesellschaft die Menschen zunehmend enttäuschen, wachsen die Erwartungen an die Unternehmen. Die Wirtschaft ist in den Augen einer gesellschaftlichen Mehrheit die letzte starke Säule. Also delegieren die Menschen zunehmend Verantwortung an Firmen und postulieren den Anspruch, dass die Unternehmen diese ihnen aufgebürdete Verantwortung bitte auch ausfüllen. Der Autorin Daniele Gioglioli nennt das die „Opferfalle“, hält es aber in Wahrheit für schlichte Erpressung.

Diese Zwangsbeglückung von Unternehmen mit egoistisch motivierten Erwartungen ist Chance und Risiko zugleich. Wer den subjektiven Erwartungen in der digitalen Kommunikation entspricht, kann sich auf hohe Akzeptanz und Markenstärke freuen. Wer enttäuscht, wird umso härter abgestraft.

Die Ansprüche und ihre Folgen sind beeindruckend:

  • 70 Prozent der Deutschen erwarten, dass sich Unternehmen aktiv an der Lösung sozialer und ökologischer Probleme beteiligen.
  • 87 Prozent behaupten von sich, sie würden nichts kaufen, bei dem sie im Hinblick auf Datensicherheit, Sicherheit, Umwelt etc. Sorgen hätten.
  • 67 Prozent wissen nicht mehr, was sie Unternehmen glauben können.
  • Nur 30 Prozent der deutschen Verbraucher vertrauen Marken.

Diese Zahlen sind nur ein Schlaglicht auf die Situation, aber sie zeigen eine Entfremdung zwischen den Menschen und den Unternehmen - weil Ansprüche einseitig wachsen und Entscheider in den Firmen das nicht erkennen. Marktforscher diagnostizieren eine ungesunde Sprachlosigkeit: So erwarten 59 Prozent der Bürger von Unternehmen, Fragen stellen und Meinungen äußern zu können. Doch nur 15 Prozent sehen diese Erwartung erfüllt. Über die Hälfte möchte, dass Unternehmen Position zu Themen beziehen, die für Konsumenten wichtig sind. Doch nur 11 Prozent erleben das, ermittelte Edelman.

Anders formuliert: Es gibt viel zu tun in Social Media. Der Einzelne fühlt sich allerdings nicht stark genug, um seine Forderungen in dieser unüberschaubaren und rabiaten Welt allein durchzusetzen. Deshalb wird der Schutz der Gruppe gesucht. Vier von fünf Bundesbürgern ist es wichtig, ein „Wir-Gefühl“ zu haben und dieses „Wir-Gefühl“ auch in der Zukunft zu bewahren. Diese Suche nach dem „Wir-Gefühl“ lässt sich in Social Media ideal bedienen: Gib den Menschen eine Heimat, und sie danken es dir:

Der Schlüssel zur Inszenierung des „Wir“ liegt im Wertesystem der Menschen. „Die Einkommen liegen weit auseinander, die Vermögen noch mehr, der Zugang zu Bildung ist sehr ungleich verteilt, es gibt Unterschiede zwischen Ost und West“, stellt Jutta Allmendinger fest, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. „Man könnte in vielerlei Hinsicht von einer gespaltenen Gesellschaft sprechen. Unter der Oberfläche aber, im Inneren, wenn es um die Werte und Normen geht, liegen die einzelnen Gruppen der Gesellschaft nah beieinander.“

Deshalb ist es klug, sich in einer Social Media-Strategie zu überlegen, welche Werte das Unternehmen ausfüllen und für seine Kommunikation nutzen kann. Werte funktionieren allerdings nur, wenn sie aus Sicht der Zielgruppen eine persönliche oder emotionale Betroffenheit auslösen. Kurz gesagt: wenn wir mit authentisch gelebten Werten den Menschen in seinem Herzen mit all seinen Sorgen, Nöten, Ängsten und Wünschen abholen.

Über den Autor: Jörg Forthmann ist seit 30 Jahren Kommunikator, anfangs als Journalist, später in den Pressestellen von Nestlé und Mummert Consulting, heute als Geschäftsführender Gesellschafter der Kommunikationsberatung Faktenkontor. Im Faktenkontor verantwortet Forthmann die Analyse und die Konzeption.

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