Autoren-Beiträge Autorenbeitrag: Vom „Wutmitarbeiter“ zum „Wutbürger“ – oder auch umgekehrt

Schick Siegfried Schick PartnerWenn der gesellschaftliche Konsens gefährdet ist – zur Rolle der internen Unternehmenskommunikation
Gehen wir einmal davon aus, dass in Unternehmen die unterschiedlichen Einstellungen und Verhaltensweisen, Merkmale und Charaktere in der Mitarbeiterschaft anteilig genauso vertreten sind wie in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Dann hätten wir zum Beispiel 15 Prozent „Wutmitarbeiter“ (plus solche, die es werden könnten), denen die fortschreitende Globalisierung Angst macht oder die durch die Propagierung der weiteren Digitalisierung („Industrialisierung 4.0“) verunsichert sind. Zu den 15 Prozent gehören auch jene, die Zuwanderer als bedrohliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt empfinden, die von der Diversity- und der Gender-Politik ihres Unternehmens befremdet sind und die sich von der „Lügenpresse“ des Unternehmens verschaukelt fühlen, weil die immer nur die rosigen Seiten der Veränderungen im Unternehmen darstellt. Auch könnten die dazu zählen, die davon ausgehen, dass ihre Sorgen und Ängste dem Establishment – sprich Unternehmensleitung – egal sind und gegebenenfalls vom Tisch gewischt werden und die nur noch Informationen und Argumente aufnehmen, die in ihr Weltbild passen („Filterblase“).

Solange sie im Betrieb „funktionieren“, könnten die Unternehmensführer die Sorgen und Ängste dieser mehr oder weniger großen Mitarbeitergruppe ignorieren. Nur – diese Menschen sind auch diejenigen Bürger, die sich Parteien und Bewegungen angeschlossen haben (oder noch anschließen könnten), die unsere Gesellschaft grundsätzlich verändern wollen, und zwar in eine Richtung, die auch das Erreichen der Unternehmensziele gefährdet. Beispiel: Abschaffung des freien Welthandels.

Einer solcher Entwicklung gegenzusteuern, müsste deshalb auch ein zentrales Anliegen der Unternehmensführer sein – sowohl im ureigensten wirtschaftlichen Interesse als auch unter dem Gesichtspunkt „gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen“ (ist schließlich in den Leitbildern der meisten Unternehmen zu finden).

Was ist also zu tun? Wir müssen versuchen, den „abgehängten“ Teil der Mitarbeiterschaft* wieder einzubinden und für unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zurückzugewinnen. Vor allem aber gilt es zu verhindern, dass noch mehr Menschen sich den rechten und linken Populisten zuwenden und unser Wertesystem in Frage stellen und dass sich unsere Gesellschaft spaltet.

Ich möchte im Folgenden den Fokus auf die Frage richten: Was kann die Interne Kommunikation als Unternehmensfunktion und Führungsinstrument der Unternehmensleitung leisten?

  • Die Interne Kommunikation muss Stimmungen frühzeitig erkennen und die Themen, die bei den Mitarbeitern Ängste und Verunsicherung hervorrufen, identifizieren und aufnehmen. Dazu ist es notwendig, nahe an den Mitarbeitern dran zu sein. Dies ist keineswegs selbstverständlich; meist ist die Unternehmenskommunikation headquarterlastig. Vor allem in Unternehmen mit vielen Standorten im In- und Ausland ist diese gewünschte Nähe zum Mitarbeiter nicht einfach zu erreichen. Ein unternehmensweites professionalisiertes Kommunikatorennetzwerk könnte ein Lösungsansatz ein.
  • Die Themen müssen allgemein verständlich dargestellt werden (auch keine Selbstverständlichkeit), und es dürfen nicht nur die positiven Aspekte und die Zielwünsche der Unternehmensleitung abgehandelt werden; auch mögliche Nachteile und Gefahren müssen angesprochen werden. Dieser Punkt entscheidet über die Glaubwürdigkeit der internen Medien und damit über die grundsätzliche Bereitschaft der Mitarbeiter, sich mit den Argumentationen auseinanderzusetzen. Wird darüber hinaus den Mitarbeitern Gelegenheit gegeben, in einer Atmosphäre der Offenheit Fragen zu stellen, Meinungen zu äußern und in Diskussion zur treten, dann fördert dies Verstehen, Verständnis und Akzeptanz.
  • Es ist nicht erst eine Erkenntnis aus den aktuellen politischen Entwicklungen: Menschen überzeugt, gewinnt und begeistert man nicht – allein – mit Fakten und verstandesbezogenen Argumenten; vielmehr sind Emotionen ausschlaggebend. Das bedeutet, die interne Kommunikation zu emotionalisieren: Argumente und Botschaften in Geschichten packen, die etwas über Menschen erzählen. Das erzeugt Bilder im Kopf und ermöglicht, Dinge zu erleben bzw. nachzuerleben und bindet ein. Ich rede hier nicht davon, diejenigen zu kopieren, die mit „postfaktischer“ Kommunikation auf Menschenfang gehen.
  • In Zeiten und Situationen, die die Menschen verunsichern, ist Vertrauen der Anker, der eine gewisse Sicherheit vermittelt und das Gefühl gibt, gut aufgehoben zu sein. Hier sind vor allem die Topmanager gefordert. Ihnen muss es gelingen, das Vertrauen in ihre Person und ihre Führung zu stärken. In einen offenen und ehrlich gemeinten Dialog zu treten, ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Die Interne Kommunikation hat die Aufgabe, erfolgversprechende Kommunikationsplattformen für Dialog und Vertrauensstärkung zu entwickeln und bereitzustellen.

Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen, die sich als Mitarbeiter in ihren Unternehmen verstanden und gut aufgehoben fühlen, als Bürger gegenüber den Parolen links- und rechtspopulistischer Vereinfacher weniger anfällig sind. Deshalb kommt der unternehmensinternen Kommunikation gerade heute auch eine große gesellschaftliche Bedeutung zu.

* = Unter Mitarbeiterschaft verstehe ich nicht nur Stammbelegschaft; auch Mitarbeitende ohne Anstellungsvertrag wie Leiharbeiter, Pro-Forma-Selbständige und Mini-Jobber zähle ich dazu.

Über den Autor: Siegfried Schick, promovierter Wirtschafts- und Sozialwissenschafter, ist seit 35 Jahren als Berater im Bereich Unternehmenskommunikation, mit Schwerpunkt Interne Kommunikation, tätig. Bevor er sich 1986 selbständig machte, war er sieben Jahre im Zentralen Personalwesen der BMW AG für die Führungskräfteinformation verantwortlich. Er ist Autor des Standardwerks „Interne Unternehmenskommunikation – Strategien entwickeln, Strukturen schaffen, Prozesse steuern“, 5. Auflage, 2014, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart.

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