Autoren-Beiträge Vier Thesen zur Zukunft der Medien: Was Verlage von Real Madrid und Bayern München lernen können

Engeser Manfred Chefredakteur Palmer HargreavesWeißer Konfetti-Regen, die Straßen gesäumt von Fahnen schwenkenden Fans und eine Banderole mit dem Vereinswappen um den Hals der Göttin Cibeles: Die Bilder von der nächtlichen Siegesfeier des neuen Champions League-Siegers Real Madrid rund um den Cibeles-Brunnen gingen in diesen Tagen um die Welt. Als kurze Clips zu sehen auf den Online-Kanälen des spanischen Staats-TV oder auf Spartensendern wie La Ola TV. Nur auf einem Kanal konnte man den Triumphzug der Königlichen Kicker komplett sehen: auf Real Madrid TV. Der vereinseigene Kanal ist stets mittendrin, wenn es darum geht, Content der Königlichen öffentlich zu machen. Und auch einen Schritt weiter als die Konkurrenz vom FC Bayern.

Der hatte vor wenigen Tagen einen Shitstorm provoziert. Kommentare wie „geldgieriger Dreckshaufen“, „räudige Aktion“ oder „geht’s noch unverschämter?“ waren noch von der harmloseren Art. Grund der Aufregung: Der FC Bayern München hatte vom Bayerischen Rundfunk kurzfristig 150.000 Euro für das Recht verlangt, seine Doublefeier vom Balkon des Münchner Rathauses übertragen zu dürfen. Weil der Sender sich weigerte, sich mit dieser Summe an den von der Stadt verlangten Sicherheitsgebühren zu beteiligen, bekamen die Gebührenzahler statt traditioneller Weißbierduschen „Tiere vor der Kamera“ und Impressionen „Entlang der Frankenwaldhochstraße“ zu sehen. Wer die tränenreichen Abschiedsrede von Meistertrainer Pep Guardiola oder Boatengs Beatbox-Künste im Bewegtbild sehen wollte, konnte das beim Spartensender Sport1 tun, dem der Bayern-Vorstand die Übertragungsrechte kostenlos überließ. Oder über die Online-Kanäle des FCB auf Youtube und Facebook, auf denen die komplette Doublesieger-Party lief.

Der Umgang mit der Übertragung dieser Medienereignisse macht einmal mehr deutlich, wie sehr sich die Medienlandschaft verändert. Für viele so genannte klassische Medien ist eine Götterdämmerung angebrochen. Weil sich das über Jahrzehnte etablierte Einbahnstraßen-Kommunikationsmodell – hier klassische Verlage, TV- und Radiostationen als exklusive Produzenten und Versender von Inhalten, dort die passive Masse der Empfänger – überlebt hat.

Das etablierte Machtgefüge verschiebt sich. Aus vier Gründen:

  1. Content ist King
    Heißt: Wer eine emotionale Geschichte zu erzählen hat, dem hören die Menschen zu.
  2. Mia send’n lieber selbst
    Heißt: Wer eine bewegende Story zu erzählen hat, tut das immer lieber selbst als sich dafür in die Abhängigkeit Dritter zu begeben. Warum? Weil er nur so die Deutungshoheit über seine Botschaften so lange wie möglich selbst in der Hand hat. Längst haben Unternehmen von Adidas über Red Bull bis ThyssenKrupp damit begonnen, nicht nur für ihr traditionelles Kerngeschäft wie Sport oder Stahl zu stehen, sondern sich als Medienmarken zu etablieren. Mit eigenen Printmagazinen, Kanälen für Audio- oder Videobotschaften und selbst gesteuerten Redaktionen entwickeln sie sich peu a peu zu Medienmarken, die Nachrichten über sich selbst als Teil ihrer Wertschöpfungskette verstehen und immer mehr selbst managen – so professionell wie nüchtern.
  3. Jeder wird zum Sender
    Heißt: Die Hürden, Inhalte zu produzieren und zu publizieren, sind durch das Internet dramatisch niedriger als noch vor wenigen Jahren. Verlage, TV- und Radiosender haben ihre einstige Pole Position, Botschaften an ein großes Publikum zu transportieren, längst abgegeben. Im Gegenteil: Viele der einstigen Sende-Monopolisten sind ob mangelnder Bereitschaft, sich auf die Reise der digitalen Transformation zu begeben, gegenüber neuen Medienplayern längst ins Hintertreffen geraten.
  4. Das Publikum emanzipiert sich
    Heißt: Die Glaubwürdigkeit etablierter Medien ist in den Augen vieler Nutzer in den letzten Jahren immer weiter gesunken. In dem Maße, wie Unternehmen in den Aufbau ihrer Medienkompetenz investieren, geraten Verlage und Sender immer weiter in den Strudel wirtschaftlicher Nöte. Und damit in die Versuchung, ihre wertvollen Assets – Unabhängigkeit und Meinungsstärke – kurzsichtigen, zweifelhaften Gegengeschäften mit finanziell potenten Partnern zu opfern. Dabei sollten sie ihre Assets weiter selbstbewusst nutzen, ihre oft wertvollen, über Jahrzehnte gewachsenen Markennamen schützen und für glaubwürdige, neue Geschäftsmodelle nutzen – ob digital oder analog.

Solange sich Medien immer mehr von ihren Assets entfernen, werden sich immer mehr Rezipienten zu Recht die Frage stellen: Warum soll ich für Informationen aus zunehmend intransparenten, weil querfinanzierten Quellen noch Geld ausgeben? Und entscheiden sich statt für das teure Hochglanz-Magazin am Zeitschriftenkiosk lieber direkt für das kostenlose, aber dennoch aufwändig produzierte, multimediale E-Paper des Herstellers. Oder klicken eben direkt auf den FC-Bayern-Facebook-Stream, um ihre Lieblingskicker live zu erleben. Kostenlos, zumindest vorerst. Und nehmen dafür in Zukunft vermutlich sogar in Kauf, dass die Ansprache von Club-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge von Werbespots unterbrochen wird – für das neue Heimtrikot des Titelverteidigers, zu erwerben im angeschlossenen clubeigenen Onlineshop.

Über den Autor: Manfred Engeser ist seit Oktober 2015 Chefredakteur bei der internationalen Kommunikationsagentur Palmer Hargreaves in Köln. Dort ist er für die Leitung des 20-köpfigen Redaktionsteams verantwortlich. Zuvor war er Ressortleiter Management bei der „Wirtschaftswoche“. Sein Beitrag ist auch im agentureigenen Palmer Hargreaves Blog erschienen.

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