Autoren-Beiträge Game over – Agenturen müssen auf agile Arbeit und Führung setzen

Steinert Andreas CoachingstationWer in der Kommunikationsbranche arbeitet, weiß, dass Kundenwünsche und -aufträge oberste Priorität haben. Denn in dem wettbewerbsintensiven Marktumfeld sind kreative, jederzeit verfügbare und preislich konkurrenzfähige Dienstleistungen der einzige Weg zu dauerhaftem Erfolg. An diesen externen Anforderungen wird sich auch in Zukunft nicht viel ändern. Um aber um im Spiel zu bleiben, müssen Agenturen ihre interne Organisation massiv weiterentwickeln und auf agile Arbeit und Führung setzen. Denn unter den veränderten Rahmenbedingungen im Personal- und Kundenmarkt ist mit alten Strukturen und Vorgehensweisen keine Zukunft mehr zu gewinnen.

Wie dringlich dieser Entwicklungsbedarf ist, wurde mir vor kurzem im Rahmen eines Coachings klar. Hier beklagte sich der Geschäftsführer einer Internetagentur über die fehlende Bereitschaft seiner Mitarbeiter Überstunden zu machen sowie deren Desinteresse, Führungsverantwortung zu übernehmen. Zu allem Überfluss habe er auch noch immense Schwierigkeiten, qualifizierten Nachwuchs zu finden, und sehe sich zugleich einer hohen Fluktuation gegenüber. Für ihn waren das alles untrügliche Zeichen einer grassierenden „Beamtenmentalität“ unter den „jungen Leuten“. Dazu sei kurz erläutert, dass es sich hier nicht um einen grauhaarigen Internetveteranen handelte, sondern um einen Vertreter der Altersklasse U 40. Sein Denken verlief aber eindeutig in den Bahnen bisher bewährter Erfolgsrezepte.

So war der unausgesprochene Weg einer wirtschaftlich erfolgreichen Agentur durch die berühmten 5% Inspiration (Leistungen gut bezahlter Konzept-, Kreations- oder Beratungsprofis) und 95 % Transpiration (von vielen willigen/ billigen Nachwuchskräften geleistete Routinearbeit) gekennzeichnet. Trotz der wenig glamourösen Realität konnten Agenturen – und offenkundig auch die betreffende Internetagentur - damit rechnen, die dafür erforderlichen Talente mit einem Wechsel auf die Zukunft zu gewinnen: tausche mageres Einstiegsgehalt und unbezahlte Überstunden, Wochenend- oder Nachtarbeit gegen immer wieder neue und dadurch spannende Aufgaben. Als Hauptgewinn gibt es für wenige Mitspieler die Aussicht auf eine frühe Karriere, steile Aufstiegschancen und attraktive Gehaltspakete. Das war für die Unternehmen der Branche meistens, für die Mitarbeiter ein nicht so häufig guter Deal. Mittlerweile interessieren sich gerade die fähigen Nachwuchskräfte aber kaum noch für solche klassischen Karriereversprechen.

Generation Y – Sinn, Balance, Sicherheit
Die Ära der scheinbar unerschöpflichen und auch noch billigen Ressourcen Zeit und Talent geht damit für die gesamte Branche und auch ihre jüngsten Vertreter erkennbar zu Ende. Das macht das anschwellende Lamento über die vorrangig an Sinn, Work-Life-Balance und Arbeitsplatzsicherheit interessierte „Generation Y“ überdeutlich. Den von Agenturchefs mehr oder weniger laut vorgetragenen Klagen über fehlenden oder „ungeeigneten“ Nachwuchs liegt ein doppeltes Leid an einem radikal veränderten Umfeld zugrunde. So ist nicht nur der Pool an Uni-Absolventen erschöpft, die partout „irgendwas mit Medien machen“ wollen und sich dann begeistert auf die oben – zugegebenermaßen grob skizzierten - Arbeitsbedingungen einlassen. Zugleich wollen die goldenen Zeiten einfach nicht wiederkehren, in denen Kunden auf Basis kreativer und innovativer Agenturleistungen zuverlässig lukrative Anschluss- und Routineaufträge erteilten. Die kommen nämlich auch nicht mehr zu den Agenturen – ebensowenig wie die Talente. Kurz: Das alte Geschäftsmodell ist am Ende.

Erschwerend kommt hinzu, dass Start-ups, Webshops oder E-Commerce-Anbieter längst die Coolness- und Attraktivitätshitliste bei jungen Talenten anführen. Wer heute für wenig Geld und ein bisschen Perspektive ganz viel arbeiten möchte, dockt hier an. Wer dagegen bereits Praxiserfahrung und gefragte Fachkompetenzen erworben hat, setzt die vielleicht noch in einer Agentur begonnene berufliche Laufbahn gerne in Unternehmen fort. So sind auch ehemalige Agenturkunden mittlerweile harte Wettbewerber im Personalmarkt und punkten mit attraktiven Aufgaben und noch attraktiveren Gehaltspaketen.

Talente gehen, Aufträge fehlen – und jetzt?
Durch den tiefgreifenden Wandel im Kunden- und Personalmarkt ist es nicht mehr möglich, ansehnliche Renditen mit alten Rezepten zu erwirtschaften. Die Talente kommen gar nicht mehr oder gehen schnell, lukrative Aufträge fehlen, weil Kunden diese jetzt mit den Leuten übernehmen können, die man selbst nicht mehr halten konnte. Die jüngst veröffentlichen GPRA Mindeststandards für die Ausbildung von Trainees spiegeln anscheinend das noch vorherrschende Denken. Sie befassen sich zwar mit dem Problem der Nachwuchs-Rekrutierung, gehen aber mit ihrem Fokus auf „Inhalte“ und altbacken wirkende „Rahmenbedingungen“ am eigentlichen Entwicklungsbedarf völlig vorbei. Denn es geht nicht um das WAS sondern um das WIE der Zusammenarbeit. Das müssen Agenturmanager so gestalten, dass die Arbeit für ihre Mitarbeiter attraktiv ist. Agile Arbeit in sich selbstorganisierenden, funktionsübergreifenden Teams braucht aber zunächst Vertrauen in die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Und es braucht agile Führungskräfte, die sich darauf konzentrieren, Hürden aus dem Weg räumen, die effiziente und erfolgsorientierte Arbeitsprozesse behindern. Mein Gesprächspartner hat sich übrigens entschlossen, diesen Weg zu gehen.

Über den Autor: Andreas Steinert arbeitet nach 20 Jahren als Kommunikationsberater und Agenturmanager seit 2006 als Coach mit den Schwerpunkten der Führungskräfte-, Team-, und Organisationsentwicklung. Im Rahmen seiner Coachingstation hilft er Agenturen dabei, Produktivität und Kreativität zu steigern und zugleich die subjektive und objektive Arbeitsbelastung der Mitarbeiter zu verringern.